An einem Dienstagmorgen Mitte September wurde auf Initiative der jüdischen Gemeinde in Reichenberg die Reihe der Stolpersteine mit den Namen und wichtigsten Lebensdaten der Jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in den Straßen von Reichenberg erweitert. Zu den 2016 verlegten 19 Gedenksteinen kamen sechs weitere hinzu.
Zum Gedenken und Nachdenken wurden drei Steine mit polierten Messingtafeln vor dem Haus in der Pražská Nr. 36, der früheren Schückerstraße, verlegt: für den Bankdirektor und den letzten Vorkriegsvorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Josef Treulich (geboren 1879, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet am 12. Oktober 1944 in Auschwitz), für Hedwiga Treulich/Taussig (geboren 1886, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet am 12. Oktober 1944 in Auschwitz), und für Hanna Luise Treulich (geboren 1917, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet am 12. Oktober 1944 in Auschwitz).
In der Zborovská Nr. 8, der früheren Fichtestraße, wurden zwei Stolpersteine zum Gedenken an Emil Lederer (geboren 1878, 1942 nach Theresienstadt deportiert und ermordet), sowie für Ida Leerer/Bendová (geboren 1893, 1942 nach Theresienstadt deportiert und ermordet) in den Boden gelassen.
Der letzte Stolperstein wurde dank einer großzügigen Spende in der Kozinova ulice 10, der früheren Falkenstraße, gelegt. Der Gedenkstein soll an Františka Sara Pokorná erinnern, die im Konzentrationslager Auschwitz starb.
„Der Gedenkstein wurde von dem jetzigen Hausbesitzer bezahlt, obwohl er mit ihr nicht verwandt war", sagte Michal Hron, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Reichenberg. Diesmal beteiligte sich auch der 1947 in Berlin geborene Künstler und Erfinder des Projekts „Stolpersteine", Gunter Demnig aus Köln, an der Aktion. Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, die in den Konzentrationslagern von der SS ermordet wurden, wurden am selben Tag noch 17 Stolpersteine in Prag und Ritschan, tschechisch Říčany, an der südöstlichen Grenze der Hauptstadt Prag verlegt.
Im Reichenberger Rathaus ging eine Beschwerde der Bewohner der Zborovská Straße ein. Die heutigen Hauseigentümer lehnten die Stolpersteine, die an die ermordeten Juden erinnern sollen, ab. Sie wollten keine Stolpersteine vor ihrem Haus haben.
„In der Zborovská wurden zwei Steine verlegt. Aber die Leute haben Angst, daß sich Neonazis vor ihrem Haus versammeln könnten. Sie befürchten Ausschreitungen und haben Angst um ihr Eigentum", sagte der stellvertretende Oberbürgermeister Jan Korytář.
„Wir halten es für nicht möglich, daß ein solches Risiko besteht. Wir gehen von der Tatsache aus, daß andere Stolpersteine schon längere Zeit unbeschadet hier sind", sagte Oberbürgermeister Tibor Batthyany.
Die jüdische Gemeinde in Reichenberg führte Gespräche mit den Bewohnern, leider ohne Erfolg. „Wir haben ihnen erklärt, daß sie keineAngst vor Angriffen oder Drohungen haben müßten und daß sie unnötige Sorgen hätten. Die Stolpersteine gelten der Verehrung der Menschen, die ermordet wurden, sie sind keine Provokation. Sie sind kein Vorwurf oder Angriff gegen die jetzigen Bewohner", so Michal Hron.
Demzufolge zögerte die jüdische Gemeinde mit der Verlegung. „Wir haben die Einwände dieser Leute ernst und bestimmt nicht auf die leichte Schulter genommen. Am Ende haben wir aber beschlossen, daß die Stolpersteine doch verlegt werden. Sie werden aber nicht direkt vor dem Eingang des Hauses gelegt, wo die Familie Lederer lebte, sondern auf dem Bürgersteig ein Stück weiter, ungefähr in der Mitte dieses Hauses", fügte Michal Hron hinzu.
Die geschäftsführenden Beamten im Reichenberger Rathaus waren der gleichen Meinung. „Wir haben den Wunsch der Hausbewohner abgelehnt. Wir glauben nicht, daß dieser Platz zum Treffpunkt für Neonazis wird. An den anderen Plätzen in Reichenberg, wo Stolpersteine verlegt wurden, kam es in der Vergangenheit zu keinen Zwischenfällen. Wichtig ist, an die Ereignisse zu erinnern, die zum Mord an Millionen von unschuldigen Menschen einschließlich der Einwohner von Reichenberg geführt haben", sagte Karolina Hrbková, Stellvertreterin des Oberbürgermeisters.
Im September wurden in folgenden Städten der Tschechischen Republik Stolpersteine verlegt: am 17. September in Chodau, tschechisch Chodov, am 18. September in Karlsbad, tschechisch Karlovy Vary, in Podersam, tschechisch Podbořany, und in Bauschowitz an der Eger, tschechisch Bohušovice nad Ohří, am 19. September in Reichenberg, tschechisch Liberec, in Prag, tschechisch Praha, und in Ritschan, tschechisch Říčany, am 20. September in Sasau, tschechisch Säzava, in Kuttenberg, tschechisch Kutná Hora, in Chrudim und in Chotieborsch, tschechisch Chotěboř, am 21. September in Loschitz, tschechisch Loštice, und in Mährisch Ostrau, tschechisch Ostrava, sowie am 24. September in Brünn, tschechisch Brno. Ebenfalls im September wurden in folgenden slowakischen Städten Stolpersteine verlegt: Am 22. September in Waagbistritz, slowakisch Povážská Bystrica, in Deutschendorf, slowakisch Poprad, und in Homenau, slowakisch Humenne, am 23. September in Kaschau, slowakisch Košice, in Neusohl, slowakisch Banská Bystrica, in Priwitz, slowakisch Prievidza, und in Trenčín, slowakisch Trentschin, sowie am 24 September in Prelßburg, slowakisch Bratislava.
Gegenwärtig gibt es in Reichenberg insgesamt 25 Stolpersteine für Opfer der Judenvernichtung. Inzwischen sind in 21 europäischen Ländern mehr als 63000 Stolpersteine gegen das Vergessen für die Opfer des Nationalsozialismus verlegt worden. Der Holocaust, dem ungefähr sechs Millionen Menschen zum Opfer fielen, war eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.
Das Erinnern an die schrecklichen Ereignisse der unmenschlichen Ideologie soll präventiv gegen ein Wiederholen wirken. Nie wieder soll es zu einem so katastrophalen Ereignis kommen wie in jener Vergangenheit. Die Gedenksteine dienen aber auch der Erinnerung, damit die Opfer der NS-Diktatur nicht vergessen werden.