Wegen des herrlichen Wetters strömten in den letzten Apriltagen Besucherscharen ins Isergebirge. Die Tafelfichte (1124 m) und die auf 841 Metern über dem Meeresspiegel stehende Bergbaude Wittighaus hatten schon lange nicht mehr einen so starken Besucherandrang erlebt wie am letzten Aprilsonntag. Der große Parkplatz vor dem Wittighaus war schon am Vormittag überfüllt und in dem Bergrestaurant kein mehr Platz frei. Nicht nur für die vielen Touristen aus Deutschland und dem heutigen Polen war es ein langes viertägiges Wochenende, weil am folgenden Dienstag der Maifeiertag war. Auch für meine Freunde und mich war das Wittighaus ein idealer Ausgangspunkt für unsere Bergtour zur Tafelfichte, um die Naturschönheiten zu genießen.
Auf den Berg führen mehrere Wanderwege: aus Neustadt an der Tafelfichte, Bad Liebwerda, Haindorf und von der Berghütte Wittighaus. Auch von der polnischen Seite von Bad Flinsberg kann man den Berg besteigen. Sofern man über eine gute Kondition verfügt, kann man den Gipfel, unter dem die Iser entspringt, auch per Mountainbike erreichen. Der Wetterbericht war gut, und unsere Tagestour begann bei strahlendem Sonnenschein. Der Wanderweg, der vor allem bei Tagesausflüglern beliebt ist, führte uns über eine asphaltierte Straße durch die Moorlandschaft hoch in die Berge. Nur der letzte Abschnitt der Tour war schwieriger. Ab der sogenannten Himmelsleiter ging es über Steine steil bergan. Nichtsdestotrotz freuten wir uns über den atemberaubenden Blick über die Berge des Isergebirges. Für die etwa sieben Kilometer lange Strecke braucht man vor allem gute Kondition. Wer den höchsten Gipfel des Isergebirges erklimmen möchte, braucht sich jetzt aber nicht mehr so anzustrengen wie früher. Auf den letzten 85 Metern des 630 Meter langen schmalen Pfads, der steil von der schmalen Asphaltstraße zu dem Gipfel des Berges führt, wurde 2013 ein hölzerner Laufsteg errichtet, der 600 000 Kronen kostete.
Am Ziel belohnt die Bergsteiger die wunderbare Aussicht in alle vier Himmelsrichtungen und das einzigartige Panorama von dem 2003 neu errichteten Aussichtsturm. Auf demselben, gut markierten Wanderweg ging es dann wieder durch die schöne Gebirgslandschaft zum Wittighaus zurück. Als wir angekommen waren, hatten wir etwa 14 Kilometer in den Beinen. Das war ein sehenswerter Ausflug und ein echtes Erlebnis. Gut gestärkt und mit neuen Eindrücken fuhren wir nach Hause. Wer die Berge einmal ins Herz geschlossen hat, der wird sicherlich wiederkommen. Bei freiem Eintritt ist der Aussichtsturm das ganze Jahr geöffnet.
Alter Aussichtsturm
Die Geschichte des Turms beginnt im 19. Jahrhundert. Nachdem Graf Clam-Gallas den Turmbau auf seinem Besitztum erlaubt hatte, begann der Bau. Am 21. August 1892 wurde auf der Tafelfichte der von dem Zimmermann Fritsch aus Neustadt erbaute Aussichtsturm mit allem Glanz der Öffentlichkeit übergeben. Beteiligt hatten sich zahlreiche Gebirgsvereine von österreichischer wie deutscher Seite sowie tausende fremde Gäste von nah und fern. Um zwölf Uhr mittags formierte sich in Neustadtl (ab 1901 Neustadt an der Tafelfichte) der Festzug, der sich eine Stunde später die breite, sanft ansteigende und fast bis zum Turm führende Straße gegen die Tafelfichte hinaufbewegte, was vom Turm aus gesehen ein prächtiges Bild bot. Nach der Eröffnungsfeier mit Ansprachen, Musik und Gesang begann bei herrlichem Wetter auf dem Platz vor dem Turm ein bis spät in die Nacht dauerndes fröhliches Volksfest inmitten der herrlichen Natur. Der Turm, ein Riesenholzbauwerk in Form eines abgestutzten Kegels, war ein Werk des Neustadtler Anpflanzungs- und Ver-schönerungsvereines, 20 Meter hoch, und bot neben dem Brokken und der Schneekoppe die drittschönste und weiteste Rundsicht in Mitteldeutschland. Der Aufstieg ist vom Neustadtler Jägerhaus mühelos zu bewältigen, von wo eine prächtige Straße bis in die Nähe des Turms führt. Der Bau bot den Touristen ein neu-es, großartiges Gebirgspanorama. Den Aussichtsturm hatten der Verschönerungsverein, die Einwohner von Neustadt, deren Sparkasse, die Textilfabrikanten Oskar und Ottomar von Klinger sowie die Fabrikanten Mazel und Raaz finanziert. Der Bau kostete 1 683 Gulden. Funktionsfähig war der hölzerne Aussichtsturm bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach der Vertreibung kam es zu Verwüstungen und Zerstörungen. Die angrenzende herrenlose Bergbaude wurde geplündert und niedergebrannt. Der nach 1945 ungepflegte Turm verfiel und brach schließlich in sich zusammen.
Neuer Aussichtsturm
Der Bau des neuen Turms war größtenteils dem 2009 verstorbenen Neustadter Bürgermeister Karel Jeřábek zu verdanken. Von 1996 bis 2002 war er Bürgermeister der Stadt. Am 18. November 1991 gründete er die Gesellschaft zur Erneuerung des Aussichtsturmes auf der Tafelfichte. Mit großer Begeisterung und Ausdauer gelang es ihm und seinen Mitstreitern, den Turmbau auf dem Gipfel der Tafelfichte zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Das Ziel der Gesellschaft war, einen Aussichtsturm an derselben Stelle zu bauen, an dem der ursprüngliche hölzerne Turm 1892 errichtet worden war. Der neue Aussichtsturm wurde am 18. September 2003 eingeweiht. Tausende von Menschen aus Böhmen, Deutschland und dem heutigen Polen besuchten die Eröffnungsfeier. Der Turm ist eine Metallkon-struktion und 20 Meter hoch. Die Aussichtsplattformen befinden sich in neun und in 18 Metern Höhe. Zur oberen Aussichtsplattform führen 91 Stufen. Am Fuße des Turmes befindet sich ein Schutzraum für etwa 25 Touristen, in dem man sich vor schlechtem Wetter schützen kann. Die Gesamtkosten betrugen 3,6 Millionen Kronen - umgerechnet 144.000 Euro. Fast 2,5 Millionen Kronen bezahlte Neustadt an der Tafelfichte, den Rest finanzierten die Region Reichenberg und der Staat. An dem Turm werden keine Getränke und Speisen verkauft. Außer Tschechen besuchen ihn hauptsächlich polnische Touristen. Direkt an der Tafelfichte befindet sich nämlich ein Grenzübergang. Von dem polnischen Ort Bad Flinsberg/Swieradow-Zdroj ist die Tafelfichte zwölf Kilometer entfernt. Der kürzeste Weg von Neustadt ist sieben Ki-lometer lang. Von der Tafelfichte hat man eine wunderbare Panoramaaussicht auf das Lausitzer Gebirge, den Jeschken, das Zittauer und das Riesengebirge sowie auf das Isergebirgs-Vorland. Bei sehr guter Sicht kann man sogar die Landeskrone bei Görlitz und die Schneekoppe sehen.
Theodor-Körner-Denkmal
Der deutsche Dichter, Dramatiker und Freiheitskämpfer Carl Theodor Körner wurde am 23. September 1791 in Dresden geboren. Am 16. August 1809 bestieg er von Bad Flinsberg aus die Tafelfichte. 100 Jahre später, am 19. September 1909, errichtete der Deutsche Gebirgsverein für das Jeschken- und Isergebirge in Neustadt an der Tafelfichte zur Erinnerung an Körners Besteigung dieses vielbesuchten und für seine Aussicht berühmten Berges einen Gedenkstein. Er besteht aus einem 2,8 Meter hohen schlanken unbehauenen Steinblock, der auf einer am Fuß ruhenden Felsplatte folgende eingemeißelte Inschrift trägt: "Zum Andenken an Theodor Körner, der am 16. August 1809 auf diesem Berge weilte - errichtet von der Ortsgruppe Neustadt a. T. des D.-G.-V. 1909.“
"Aus diesem Grund", so berichtet die zeitgenössische Presse, "fand um 11.00 Uhr vom Gasthof Zum König von Preußen in Neustadt ein gemeinschaftlicher Aufstieg statt, dem um 14.00 Uhr die Gedenkfeier folgte. Anschließend an den Gedenkakt fand in den Räumen der Schutzhütte ein gemütliches Beisammensein statt. Jeder war bei der Körner-Gedenkfeier herzlich willkommen. Der Obmann des Neustädter Gebirgsvereines, Direktor Gruner, begrüßte die zahlreichen Verehrer Körners, worauf der Lehrer Raaz aus Neustadt in begeisterten Worten den Freiheitsdichter feierte. Redakteur Leubner übermittelte Grüße des Reichenberger Hauptausschusses des Gebirgsvereins und eine Spende von 40 Kronen. Herr Löffler sprach im Namen des Reichenberger Verbandes Körner, der Turnverein Körner in Görlitz legte einen Lorbeerkranz nieder."
Theodor Körner fiel als Mitglied des Lützower Freikorps gleich nach dem Ausbruch des Krieges mit Napoleon in der zweiten Morgenstunde des 26. August 1813, einen Monat vor seinem 22. Geburtstag, während eines Angriffs im Forst Rosenow bei Gadebusch. Für das deutsche Volk war er ein Held. Bestattet wurde er in der Gemeinde Wöbbelin im heutigen Landkreis Ludwigslust-Parchim in Mecklenburg. Sein Grabdenkmal wurde am 23. September 1814 auf dem Friedhof feierlich eingeweiht. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Denkmal umgestürzt. Das an der Vorderseite 1939 angebrachte Bronzerelief mit dem Porträt des Dichters von der sudetendeutschen Bildhauerin Juliana Jaksch-Neuwinger aus Wien wurde gewaltsam heruntergerissen. Erst in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es wieder aufgerichtet. 1998 wurde der Gedenkstein mit einem neuen Porträt und neuen Daten versehen. Da die Steininschrift mit der Zeit unleserlich geworden war, erneuerte Günter Menzel, Mitglied des Vereins Patron, sie im Oktober 2004. Das jahrelang verschwundene, mit Kriegswaffen von beiden Seiten durchschossene und nachher vergrabene Körner-Relief fand wie durch ein Wunder im Mai 2012 unter dem Gipfel der Tafelfichte ein Tourist. Von dem alten und beschädigten Relief wurde ein neuer Bronzeabguß angefertigt und an den Gedenkstein montiert.
Am 21. September 2013 enthüllte Peter M. Wöllner anläßlich des 200. Todestages Theodor Körners das Denkmal mit der sorgfältig angefertigten Kopie des Reliefs. "So ist es mir heute eine Ehre, als engagierter deutscher Unternehmer aus Neustadt an der Tafelfichte mit tschechischen Honoratioren, Freunden und interessierten Bürgern und Mitarbeitern dieses Denkmal enthüllen zu dürfen", sagte Wöllner, der seit mehr als 20 Jahren als Unternehmer in Neustadt arbeitet und lebt. Mit den Worten "Mein größter Wunsch ist es, daß dieses Denkmal für die Freiheit aller Völker steht und wir für alle Zeiten friedlich und freundschaftlich miteinander leben dürfen" enthüllte er im Kreise vieler Zuschauer das erneuerte Denkmal.
Jomrich-Kreuz
Franz Jomrich (*20. September 1834 in Friedland, † 6.März 1920 in Neustadt an der Tafelfichte) war ein römisch-katholischer Priester. Von 1885 bis 1911 arbeitete er in Neustadt. Er mochte die Natur und machte gerne Ausflüge in die Berge. Auf seinen Reisen zog er mit seinem Esel durch die Gegend. Nicht nur die einheimischen Gläubigen genossen seinen urwüchsigen Humor. Seine Lebensgeschichten wurden in mehreren Büchern veröffentlicht. Als der Aussichtsturm an der Tafelfichte 1892 der Öffentlichkeit übergeben wurde, war der bekannte Dechant Franz Jomrich einer der Festredner. 1905 hängte er, damals schon 70jährig, für die Gläubigen ein gußeisemes Kreuz mit einer vergoldeten Christusstatue an einen Baum auf dem Gipfel der Tafelfichte und stellte eine Bank darunter, damit sie auch hier beten konnten. Später wurde das Kreuz an einen anderen Baum in der Nähe des Aus-sichtsturms verlegt. Das Kreuz verschwand in den siebziger Jahren. 2007 wurde es restauriert und neben dem Denkmal von Theodor Körner aufgestellt.
Mord ohne Leiche
Der Berg ist auch mit der traurigen Geschichte eines Mörders, der sich selbst anzeigte, verbunden. Beim Gendarmerieposten in Friedland stellte sich am 3. August 1896 der 27jährige Porzellandreher Ulbich aus Neustadtl bei Friedland und sagte aus, er habe am 1. August mittags unterhalb der Tafelfichte einen Touristen mit der Absicht, ihn zu berauben, mit einem Revolver erschossen und ihm 20 Gulden entwendet. Die Leiche will er in die Iser, die auf der Tafelfichte entspringt, geworfen haben. Am 4. August suchten die Gendarmerie und das Forstpersonal den Tatort am Fuße der Tafelfichte ab, auf dem der verhaftete Porzellandreher einen 40jährigen Touristen ermordet und beraubt haben wollte. Die Leiche wurde nicht gefunden. Dennoch beharrte Ulbich, der den Eindruck eines geistig vollkommen normalen Menschen machte, darauf, dem Touristen die Brieftasche mit 20 Gulden geraubt zu haben.
Warum Tafelfichte?
Die Tafelfichte ist innerhalb der Grenzen Böhmens zwischen dem Riesengebirge und dem Erzgebirge die bedeutendste Erhebung der Sudeten. Sie wurde nach einer hohen, bis 1790 weit über den niedrigen Baumwuchs der Berghöhe hinausragenden Fichte mit einer Grenztafel benannt. Diese hatte der Friedland-Herzog Albrecht von Wallenstein 1628 nach einem Grenzstreit mit seinem Nachbarn, Freiherr Ulrich von Schaffgotsch, an dem Baum anbringen lassen. Im Juni 1644 nahm eine Kommission eine Revision der Grenzen im Isergebirge vor. Diese sollte die Herschaftsgrenzen zwischen dem Schaffgotschen, dem Messersdorfer und dem Friedländer Eigentum klären. Im Protokoll dieser Revision heißt es, der Herzog von Friedland habe sein Wappen auf eine Tafel malen lassen, die Jahreszahl 1628 daruntergesetzt und an einer Fichte an der Grenze anbringen lassen. Die Grenze verlief 1628 schon über die Tafelfichte, Die Schaffgotschen aber hatten nach 1628 die Grenze um ein großes Stück in das Friedländische "hereingebracht", deshalb der Grenzstreit, welcher daraufhin entstand und die Kommission notwendig machte. Der Name "Tafel-Fichte" wird in dem Protokoll zum ersten Mal erwähnt. Das Protokoll besagt auch, daß in die Fichte, die das Wappenschild des Herzogs von Friedland mit der Jahreszahl 1628 getragen habe, ein eiserner Nagel mit dem Zeichen M.G.G. - Mathias Graf Gallas -und der Jahres-zahl 1628 eingeschlagen worden sei. 1790 entwurzelte ein Sturm die Fichte.