Trotz einer Wiederholung im Programm hatte Gerd Lemke einen angenehmen Abend.
Alles ist vorbereitet für einen schönen Abend: der Lobkowicz-Palast, die Stimmung, die Begleitung und die Garderobe. In gepflegter Unterhaltung begeben wir uns zur deutschen Botschaft und genießen die üppige barocke Umgebung. Einzig die Leinwand mit diesem Spiel auf einem Rasen, bei dem 22 erwachsene Männer wie Kinder in kurzen Hosen einem Ball hinterherjagen, stört die Reise in die Vergangenheit.
Ein wichtiges Spiel soll das sein, doch die herumtobenden Kinder stört das nicht, auch nicht die Frauen, die auf diese aufpassen. Ich setze meine gepflegte Unterhaltung mit meiner Begleiterin fort und zeige kein übertriebenes Interesse an dem Geschehen weit weg von Prag. Denn nach fünf Minuten ist ja bereits klar, dass dies die Reprise des Finales der Europameisterschaft von 2008 ist. Die spanische Mannschaft beherrscht mit ihrer Kurzpass-Ballzirkulation die deutschen Grünschnäbel und lässt sie nicht zur Entfaltung kommen. Hier und dort setzt Spanien Nadelstiche, doch die Spieler wissen nur zu gut, dass sie Geduld brauchen, bis der Gegner sich müde gelaufen hat und sich größere Lücken öffnen.
In der Pause begeben wir uns auf den Balkon, auf dem ich die Geschichte von den Botschaftsflüchtlingen erzähle und das berühmte Genscherzitat übersetze: Wir sind heute hierher zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise genehmigt worden ist (gedächtniswörtlich zitiert, also besser als sinngemäß, ungenauer als wörtlich, wahrscheinlich). Das übersetze ich ad hoc ins Tschechische und erzähle auch noch die Geschichte des Trabis auf Rädern. Hinter mir erzählt jemand, dass sich jetzt morgens Hasen im Garten tummeln, die unter dem hinteren Tor des Gartens durchschlüpfen, um zwischen den ornamental geschnittenen Hecken Verstecken oder Haschen zu spielen. Nichts deutet in dieser Atmosphäre darauf hin, dass gleich die zweite Hälfte eines wichtigen Spieles angepfiffen wird, zu der wir uns ein wenig näher zu den echten Fans stellen.
Trotz der größeren Leinwand bleibt das Bild das gleiche, Deutschland kann sich einfach nicht recht aus der spanischen Belagerung befreien, statt der Nadel benutzen die Spanier nun bereits ein Florett und die deutsche Abwehr hat immer größere Mühe, die Attacken zu parieren. Doch noch hält der Schutz, selbst, nachdem zum Degen gegriffen wird. Nur Gegenangriffe gibt es fast keine mehr, Deutschland steht auf der Planche beinahe am Abgrund. Schließlich entscheidet ein krachender Schlag mit dem Säbel den Kampf, der mit viel Wucht die deutsche Deckung entzweihaut.
In fast zwanzig Minuten schafft Deutschland es nicht mehr, entscheidend zurückzuschlagen, selbst, als beide das Visier öffnen. Gut gekämpft, Jungs, möchte man ihnen zurufen, und es ist ja nur ein Spiel. Aber Hand auf’s Herz: Haben Sie früher als Kind gerne verloren? Ich nicht, ich war darüber sogar sehr wütend.
Anschließend schöpfen wir noch etwas frische Luft auf dem Balkon, dann gehen wir sogar in den Garten und entdecken eine frühere Kapelle, die mittlerweile aber umgebaut wurde. Ich lasse mir erklären, dass die ornamentalen Muscheln ein höchst beliebtes Element in Barock und Renaissance waren und frage gleich nach deren symbolischer Bedeutung. Eine ausgesprochene gebe es nicht, es sei aber wohl eine Symbol für das Leben bzw. die Geburt.
Wir setzen die gepflegte Unterhaltung mit einem Spaziergang über die Burg fort und ich bin überaus höflich und am Ende sogar dankbar für den schönen Abend. Trotz Fußball oder vielleicht auch wegen Fußball, der das möglich gemacht hat. Das Spiel selbst? Wie gesagt, die Reprise von 2008. Wer möchte sich schon über eine Wiederholung enervieren? In dieser Atmosphäre, da bewahre ich lieber die contenance.