Es ist vollbracht! Löw hat sein letztes Spiel als Trainer der deutschen Nationalmannschaft mit Anstand hinter sich gebracht. Er hat nicht gegen Ungarn verloren, sondern gegen einen großen Namen, gegen England, und das auch noch in deren Heiligtum, dem Wembley-Stadion. Das ist keine Schande, auch wenn ein Achtelfinale für die erfolgsgewohnten Deutschen natürlich viel zu wenig ist. Dieses Achtelfinale erweist sich aber auch für andere große Namen als Stolperstein, Frankreich, Portugal und die Niederlande scheiden dort ebenso aus. Also hat Löw seine Mission erfüllt, nicht mit dem schlechtesten Ergebnis in der bisherigen Geschichte des deutschen Fußball-Nationalmannschaft abtreten zu müssen. Die EM 2000 mit Erich Ribbeck war schlimmer, ebenso die EM 2004, 1968 hat sich die Mannschaft erst gar nicht für das Endturnier qualifiziert. Aber war das damals überhaupt ein Turnier? Nicht so, wie wir es heute sehen. Nüchtern betrachtet reiht sich Deutschland in die Plätze neun bis 16 in Europa ein, das wird der Mannschaft auch gerecht, die viel weniger ist, als die Summe ihrer Einzelspieler. Die Niederlage gegen Nord-Mazedonien im WM-Qualifikationsspiel war durchaus kein Ausrutscher, sondern der Nachweis des Leitungsstands dieser Mannschaft. Wen das alles jetzt wundert, hat die Entwicklung dieser Mannschaft in den letzten vier Jahren verpasst. Kip kommentiert es später im Fraktal prägnant und treffend: Der Lack ist ab.
Der Lack ist ab
Während des Tages habe ich zwei kurze Telefonkonferenzen mit Niels, wollen wir es wagen, in den Žižkov-Biergarten zu gehen? Wir beide kennen die Location noch nicht, früher hätten wir uns im Rieger-Park verabredet, doch dort hat sich einiges verändert und man muss reservieren. Ein Gewitter braut sich über dem westlichen Teil Mitteleuropas zusammen und zieht nach Osten. Es wird kommen, aber wann? Wir wagen es, obwohl mir mein Magen Warnsignale gibt. Beim Umsteigen an der Straßenbahnhaltestelle springe ich in einen Kiosk und kaufe ein kleine Menge Becherovka. Ich kann den süßlich-bitteren Geschmack des Zeugs eigentlich nicht ausstehen, aber es hilft. Niels informiert mich fernmündlich, dass er schon eingetroffen sei und in der Schlange für Getränke stehe. Ich bitte um eine Cola, die ist ebenfalls gut bei Magendrücken. Niels hat einen Platz ziemlich weit hinten ausgewählt, „unter der Plane, falls der Regen kommt“. Ich bin zunächst skeptisch, doch dann finde ich es in Ordnung, das Spiel ist sowieso über weite Strecken langweilig. Auf der Leinwand entdecken wir einen roten Balken, der nicht mit der Kamera mitschwenkt. Ich tippe auf ein Pflaster für die Leinwand. Der Biergarten hat seinen eigenen Charme, etwas schmuddelig, sagen wir, unprätentiös, Bänke und Tische auf einer zertrampelten Wiese, ein paar Buden mit Ausschank und Grill, am Rande eine kleine Kirmes mit Karussell, Auto Scooter und solchen Sachen, die einem den Kopf und die Sinne durchwirbeln. Ja, es ist die Žižkov-Ausgabe des großen Münchner Oktoberfests.
Oktoberfest für Anspruchslose
Ich erkläre etwas ein Stück zu laut und ernte verwunderte Blick vom Tisch vor uns, jemand taxiert mich, vielleicht ein englischer Hooligan, der sich ein Opfer für nach der Niederlage aussucht? Das Spiel beginnt gar nicht mal so schlecht für Deutschland, Goretzka marschiert energisch Richtung Strafraum und wird kurz vor dem Eindringen umgesenst. Der englische Verteidiger hat Glück, dass es nicht als Notbremse gewertet wird und er mit einer gelben Karte davonkommt. Aus der guten Freistoßchance kommt nichts heraus. Dann übernimmt England die Spielkontrolle, ohne wirklich gefährlich zu werden. Niels und ich plaudern über das Leben, über gemeinsame Freunde, wie wir die Pandemie überlebt haben und auch schon etwas über Fußball. Während Niels sich wieder für Getränke anstellt, vergibt Chancentod Werner die einzige herausgespielte Torchance Deutschlands, der englische Torwart Pickford hält.
Chancentod Werner – Grätschenkönig Hummels
Kurz vor dem Pausenpfiff brennt es lichterloh im deutschen Fünfmeterraum, Harry Kane ist eigentlich frei vor dem Tor, hat den Ball aber etwas zu weit vom Fuß. Monster-Grätsche Hummels spitzelt ihm das Spielgerät weg, beinahe aber vor die Füße eines anderen englischen Angreifers – ist es Sterling?, das Bild ist doch reichlich unscharf, ich kann es nicht genau erkennen, der aber verstolpert. Der längst nicht mehr unüberwindliche Neuer muss nicht mehr eingreifen. Hummels und seine Grätschen, das ist das beste, was Deutschland in diesem Turnier zu bieten hat. Unvergessen die Grätsche gegen Mbappé im ersten Spiel, mit vollem Risiko im eigenen Strafraum holt er dem enteilenden Wunderstürmer den Ball vom Fuß, den er auch schon etwas trifft, der Schiedsrichter lässt Gnade vor Recht ergehen. Und Hummels verhindert in diesem Spiel wieder ein 99%iges Gegentor mit seinem langen Bein.
Das Bier bleibt im Magen
Dann ist Pause und mein erstes Bier erregt keine Brechreize, Kamillentee, Becherovka und Cola haben im Verbund ganze Arbeit geleistet, mein Magendrücken hat sich in einige Rülpser und Aufstoßer aufgelöst. Ich wage die alles andere als gewagte These, dass die Mannschaft gewinnt, die das erste Tor schießt, dass es wahrscheinlich sowieso 1:0 ausgeht, denn beide Mannschaften wagen nicht viel und hoffen auf den einen Fehler, die eine Unachtsamkeit des Gegners. Falls man das von Deutschland überhaupt so sagen kann, denn die vergangenen vier Jahre Löw-Fußball haben gelehrt, dass Deutschland meist eh nur einen Stiefel runterspielen kann. Wenn der Gegner unerfahren ist, reicht das locker, wie im Vorbereitungsspiel gegen Lettland, wenn der Gegner aber durchsetzt ist mit Profis mit internationaler Erfahrung, herrscht im deutschen Spiel große Ratlosigkeit. Da ändern auch die Auswechslungen nichts mehr. Es ist eher England, das sich mit dieser Taktik der Risikominimierung noch kein Gegentor im Turnier gefangen hat, es ist die Taktik der glanzlosen Erfolge, die Taktik, wie man in einem Turnier sehr weit kommt.
Taktik der Risikominimierung
Die zweite Hälfte beginnt etwas munterer, Havertz hat eine gute Schusschance, die Pickford über die Latte lenkt. Abgesehen von diesen lichten Momenten bleibt das deutsche Spiel zäh, der Sand im Getriebe wird gemahlen und gemahlen, will sich aber nicht verfeinern. Nach 75 Minuten passiert das, worauf England geduldig spekuliert hat, es spielt die deutsche Abwehr vor dem Strafraum auseinander, irgendjemand gibt von links flach und scharf vor den Fünfmeterraum, Sterling ist als erstes am Ball und netzt ein. Weiter vorne brandet Jubel, es sind also doch Fans im Stadion, also im Žižkov-Biergarten. Deutschland muss jetzt kommen, muss sich wehren, muss sich aufbäumen, muss auf Teufel komm raus angreifen, den Gegner unter Druck setzen, den quasi-Libero auflösen, Neuer muss beim Eckball vors Tor, einer muss mal den Hammer rausholen oder einfach durchmarschieren, wie haben denn am Vortag Kroatien und die Schweiz ihre Aufholjagden bestritten?
Kein Aufbäumen erkennbar
Von alledem passiert – nichts. Müller kann nach einem schlimmer Fehlpass im englischen Mittelfeld alleine auf Pickford zulaufen, scheitert aber an seiner Schusstechnik. Statt den Ball Vollspann wie einen Strich ins Eck zu jagen, noch raffinierter, mit dem Außenrist um den Torwart herum zu drehen, wählt er die Innenseite des rechten Fußes und der Ball dreht sich am Ende vom Torpfosten die entscheidenden Zentimeter weg am Tor vorbei. Müller vergibt den geschenkten Ausgleich, England macht kurz darauf alles klar, wieder eine scharfe Hereingabe von außen, diesmal ist Kane mit dem Kopf zur Stelle und Deutschland verwaltet die Niederlage bis zum Schluss, an dem auch Musiala ein paar Sekunden in das Abschiedsspiel von Löw hineinschnuppern darf. Die englischen Fans singen „Football's coming home“ und noch etwas, was ich nicht ganz verstehe, keinesfalls aber die befürchteten World War II songs, wie den von den zehn deutschen Bombern, welche die Royal Air Force vom Himmel holt. Wie ich später Nick berichte, scheinen die Zeiten nun auch vorbei zu sein, bald 80 Jahr nach Ende des Kriegs. So geht also die Löw-Ära zu Ende, der Schausteller wirft seine Maschinen an, ein Gewitter braut sich zusammen und ich kann keinerlei Entäuschung empfinden.
Vorhersehbarer Misserfolg
Der Misserfolg in diesem Turnier war so vorhersehbar wie der Fußball, den Löw seit vier Jahren spielen lässt. Natürlich kann man sagen, hätte, hätte, Menschenwürde, um den deutschen Rekordnationalspieler und verkanntesten aller Fußballtrainer, L. Matthäus falsch zu zitieren, der Werner, der Müller, der Dings und der Bumms, aber so lügt man sich einfach in die Tasche, dass diese Mannschaft tot ist, ohne Spielwitz, ohne Inspiration, ohne Überraschungsmoment, ausgebrannt, auch ohne Mannschaftsgeist. Sie ist die logische Konsequenz und der Endpunkt all der handwerklichen Fehler, die der Trainer in seiner Karriere gemacht hat. Bezeichnend die nahezu Ergebenheit, mit der sie sich in ihr Schicksal fügt. Bereits vor neun Jahren haben wir darüber geschrieben, dass Löw nur Typen vom Schlage Mamas Lieblingsschwiegersohn mitnimmt. Damals war das Team aber noch jung und hatte spielerische Klasse. Heute scheinen auch die jungen Spieler im Löwschen System zu vergreisen und geduldig auf die Rente zu warten.
Zwei falsche Sechser und drei Vorstopper
Der nächste handwerkliche Fehler war das unendlich wiederholte Experiment, mit zwei falschen Sechsen, Kroos und Gündogan, aufzulaufen. Die fehlende defensive Kompaktheit versuchte er durch drei Vorstopper, um mal die alten Begriffe wiederzubeleben, wettzumachen. Das ist nie gelungen, vielmehr nimmt einer der drei gegen tiefstehende Gegner einem kreativen Offensivspieler den Platz weg und muss notgedrungen als Ersatzspielmacher in der Offensive herumstümpern. Der nächste handwerkliche Fehler ist dann die viel zu späte Rückholaktion von Hummels, Müller und Volland. Der eine schießt ein Eigentor, der andere vergibt die Hundertprozentige auf den Ausgleich und der dritte darf nur so wenig spielen, dass er sicherlich lieber im Urlaub geblieben wäre. Die Rückholaktion in letzter Minute signalisiert nichts anderes als Panik, ich weiß nicht weiter, bitte, verzeiht meine unmögliche Menschenführung und helft mir aus der Scheiße.
Im Umgang mit Menschen eine Katastrophe
Löws mangelhafter Umgang mit seinen Spielern zieht sich wie ein roter Faden durch seine Karriere, das beginnt mit Thorsten Frings, dem er nicht klipp und klar sagen kann, dass er nicht mehr mit ihm plant, und Kevin Kuranyi, den er auf die Tribüne setzt, bis der Gedemütigte in einer Kurzschlusshandlung einfach in der Halbzeitpause nach Hause fährt. Michael Ballack erfährt das Gleiche wie Frings, ihm werden scheinheilig zwei unbedeutende Freundschaftsspiele angeboten, damit er die hundert Länderspiele vollmachen kann, was dieser dankend und verärgert ablehnt. Mario Gomez schießt in der Gruppenphase der EM 2012 Deutschland mit drei Toren und einer genialen Vorlage auf Podolski alleine ins Achtelfinale, um sich dort auf der Bank wiederzufinden. Es gab eine Zeit, als die Not auf der Mitterlstürmerposition am größten war – Miroslav Klose hatte nicht nur helle, sondern auch ganz dunkle Tage, in denen ihm gar nichts gelang – ignorierte er den Leverkusener Stefan Kießling so ausgiebig, dass dieser nur noch wortlos abwinkte, wenn ein Reporter ihn nach der Nationalmannschaft fragte. Nach 2014 kann er mit den nachrückenden jungen Spielern gar nichts mehr anfangen, er erkennt deren Potential und deren Stärken nicht, weiß nicht, wie er sie in die Mannschaft einbauen soll. Also macht er so weiter, was noch jeder Bundestrainer nach einer gewonnenen Weltmeisterschaft gemacht hat, er konserviert den größtenn Teil der alten Mannschaft und scheitert nach einer akzeptablen EM bei der nächsten Weltmeisterschaft. Nur so krachend wie Löw hat das noch keiner geschafft. Und so nonchalant wie er ist noch niemand darüber hinweggegangen, legendär die Pressekonferenz Wochen nach dem Russland-Desaster: „Wir waren schon auch etwas arrogant.“ Immer, wenn Löw sagen müsste, ich habe einen Fahler gemacht, weicht er in den pluralis majestatis oder nutzt das ominöse „man“.
Vom Trainergott zum Scharlatan
Dann erklärt er sich zum Neuerer des deutschen Fußballs und stößt wieder drei verdiente Spieler vor den Kopf, er wirft Müller, Hummels und Boateng in einer Nacht-und-Nebel-Aktion raus, wieder kann er das nicht richtig kommunizieren, rudert verbal halb zurück und macht vor seinem letzten Turnier einen Kniefall vor zwei von ihnen. Das deklariert er dann als „ich nehme jetzt keine Rücksichten mehr, es zählt nur das Turnier“. Himmel, die deutschen Medien tragen dieses Kasperletheater noch mit und kritisieren nur zaghaft, im Verband sind die Spitzenfunktionäre in den letzten Löw-Jahren mit ihrem eigenen Kleinkrieg beschäftigt, in diesem Machtvakuum lassen sie Löw gewähren, der in Spanien eine krachende 6:0 Niederlage einfährt und danach wieder wochenlang abtaucht.
Kuntz führt U21 dreimal ins Endspiel der EM
Während er sich beschwert, dass ihm die Spieler und der Nachwuchs fehlt, führt Stefan Kuntz die U 21 drei Mal hintereinander ins EM-Finale, wovon er sogar zwei gewinnt. Bayern München wird Championsleague-Sieger mit der potentiell halben deutschen Nationalmannschaft, in der Saison gewinnen die Bayern in dem Wettbewerb jedes Spiel. Im Jahr danach gewinnt Chelsea London mit drei deutschen Nationalspielern die begehrteste Vereinstrophäe der Welt, aber Löw fehlen die Spieler. Die Verärgerung mancher Spieler geht ja so weit, dass einige freiwillig auf das Turnier verzichten, ter Stegen unterzieht sich währenddessen lieber einer aufschiebbaren Knieoperation, statt sich noch ein Turnier auf die Bank zu setzen. Der Affront der WM 2018 hat also gesessen, als Löw ihm einen Neuer vorzog, der nahezu die gesamte Saison verletzt ausgefallen war. Oder Marco Reus, gerade zu Saisonende wie die ganze Borussia in Hochform, der in seinen Körper hineingehorcht haben wollte, der ihm gesagt hat, tu dir das mit dem Löw nicht nochmal an. Gerade Marco Reus, der die Turniere 2014 und 2016 wegen Verletzung verpasst hat, hätte doch besonders scharf darauf sein müssen. Über die Stimmung im deutschen Kader kann man nur spekulieren, solange niemand etwas nach außen dringen lässt, doch die Indizien und das Auftreten auf dem Platz sprechen dafür, dass es mit dem Teamgeist nicht zum besten gestanden hat.
In der Straßenbahn sehe ich eine bekannte Gestalt, bekleidet mit einem Deutschland-Trikot, kann es jedoch wegen der obligatorischen Masken nicht genau erkennen. Es dürfte ein ehemaliger Kollege sein, ein Badenser, also ein Landsmann von Alt-Trainer Löw. Ich erspare uns eine Kontakaufnahme, er möchte jetzt sicher mit seiner Enttäuschung allein sein, ich hingegen nicht so gerne mit einem Badenser gesehen werden.
Wo sind die Schweden?
Nun, ich eile vor dem Gewitter zurück nach Prag 7 ins Fraktal und erlebe eine herbe Enttäuschung, Fred, der Besitzer und alte Schwede ist nicht da, nicht mal Johann oder ein anderer Schwede, wo sind die Feiglinge, wo verstecken sie sich, einzig Kalle und Anni kommen kurz herein, doch Kalle schüttelt nur den Kopf, wir wissen es ja schon lange, für Sport interessiert er sich nicht im geringsten, er möchte davon gar nichts wissen. Ohne die Schweden kippt schnell die Stimmung, wir unterstützen die Ukraine, befürchten aber, dass es ein äußerst langweiliges Spiel wird. Ich erinnere Nick daran dass wir schon einmal so ein Spiel der Ukraine gesehen habe, es war die WM 2006 oder 2010, im Rieger Park, vielleicht war der Gegner damals sogar Schweden. Damals spielte Schewtschenko, heute Nationaltrainer, noch selbst mit. 120 Minuten absolute Langeweile, dann fiel entweder ein Zufallstor oder es gab Elfmeterschießen. Nick kann sich dunkel an so etwas erinnern, weiß aber auch nichts Genaueres mehr. Natürlich freut sich Nick über Englands Sieg und ich gönne ihm das, auch wenn er sehr rücksichtsvoll ist und seinen Triumph nicht auskostet. Hinein in die drohende Langeweile fällt das Führungstor für die Ukraine, ein schöner Halbvolley ins lange Ecke, mit Schmackes abgezogen, der Torwart ist zwar noch dran, kann denn Einschlag aber nicht verhindern. Wir jubeln. Wieder wirft jemand die Frage auf, „wo ist denn Fred?“, Kipp weiß es. „Er hatte heute seine zweite und sagt, er fühlt sich nicht gut.“ Damit ist die zweite Covid-Impfung gemeint. „Niels hatte auch seine zweite und hat beim Deutschland-England-Spiel ganz auf Bier verzichtet.“ Jason, der Mann mit dem Loch im Kopf lacht, „ja, wenn du die Ärzte auch fragst, die sagen dir dann, nicht trinken“.
Der Satellit streikt
Das Gewitter zieht heran, wir hören den Regen prasseln, Forsberg – wer sonst? - schießt den Ausgleich, das Spiel ist offen. Ich lerne einen Schotten namens Peter kennen und rette ihn vor Radio Jason, der ihn zutextet. Wir reden über Fußball, ich denke, dass er sich hervorragend auskennt, und kommen auf das Thema Jogi Löw. Das öffnet bei mir natürlich eine Schleuse.
Erdogan-Affäre 2018
„Nimm die WM 2018, der Man hat keine Ahnung von Gruppendynamik. Da war diese Affäre mit Özil, Gündogan und Erdogan. Der Löw hat diesen Konflikt überhaupt nicht gelöst, er hat keine Klarheit geschaffen. Er hätte doch mit den Spielern und dann mit dem restlichen Team reden müssen, wie die das sehen, ob sie mit denen noch zusammenspielen möchten. Da kam überhaupt nichts, Gündogan hat sich öffentlich geäußert und zur deutschen Nationalmannschaft bekannt. Der musste dann auch im letzten Vorbereitungsspiel in Deutschland ein Pfeifkonzert über sich ergehen lassen, der ist Spießruten gelaufen. Özil hat er das erspart, der brauchte in so einem wichtigen Spiel, in dem man die Stammformation für das erste Spiel sich einspielen lässt, nicht aufzulaufen. Özil ist höchst introvertiert, den hätte er zwingen müssenb, sich zu äußern – oder eben ausladen. Aber er hat nichts gemacht. Dann wurde Özil im ersten Spiel zum Sündenbock, weil er den Zweikampf vor dem 0:1 gegen Mexiko verloren hat, doch auf der Verteidigerposition hatte er eigentlich nichts zu suchen, das war Kimmichs Position, der noch irgendwo an der gegnerischen Eckfahne herumgeturnt ist. Dann lässt er Özil im zweiten Spiel draußen, bringt ihn jedoch für das dritte. Er hat gar nicht schlecht gespielt, war vielleicht der beste Feldspieler, doch die Mannschaft hat nicht mehr richtig mit ihm gespielt. Was ist das für ein Krisenmanagement? Die waren die ganze Zeit damit beschäftigt, ob Neuer rechtzeitig fit wird, statt die Mannschaft auf den Gegner einzustellen. Unglaublich!“, lasse ich meinen Erinnerungen freien Lauf.
Geteilte Erleichterung
Farid schaut kurz in die Bar, er nickt mir zu, „ich fühle dasselbe wie du“. Ja, 2014 waren wir begeistert, mir klingt noch Farids „sowas von verdient“ in den Ohren, heute sind wir nur noch angewidert und erleichtert, dass die Qual ein Ende gefunden hat.
Auf dem Bildschirm tut sich nichts mehr, das Unwetter ist da, der Satellit fällt aus, wir müssen wieder auf Nicks Tablet umsteigen. Käse-Gael tritt ein, für ihn ist das Turnier beendet, erklärt er, so ganz glaube ich ihm das nicht. „Im Žižkov-Biergarten habe ich das Spiel gesehen“, - er also auch, das scheint der Ort der begrabenen Hoffnungen zu sein. Auf dem Platz und auf dem Bildschirm tut sich wieder was, doch Alleinunterhalter Forsberg fehlt das Glück, es geht in die Verlängerung. Danielson geht rücksichtslos in einen Zweikampf, trifft zwar zuerst den Ball, dann aber mit gestrecktem Bein und offener Sohle das Knie des Gegenspielers, der noch auf dem Platz einen Antrag auf Invalidenrente unterschreibt. Der Video-Assi weist den Schiedsrichter an, glatt Rot zu zeigen, Schweden spielt für den Rest der Verlängerung – mehr als 20 Minuten – in Unterzahl. Als wir uns auf ein gemütliches Elfmeterschießen einstellen, fällt doch noch die Entscheidung, Flanke von links, Kopfball aus ein paar Metern, die Ukraine steht im Viertelfinale.
Raus in den Regen
Niemand von uns verlässt freiwillig die Kneipe, doch um Mitternacht werden wir unbarmherzig in den Regen gescheucht. Zu Hause schalte ich doch noch den Computer an und lese einige Pressereaktionen. Dabei lese ich das groteske Löw-Zitat: „Es muss jetzt erst einmal die eine oder andere Stunde vergehen, bevor man ein paar Worte an die Mannschaft richtet.“ Da ist es wieder dieses ominöse „man“, wenn er sich selbst meint. Der Mann hat es immer noch nicht realisiert, das war's, es ist aus, der Job ist zu Ende, diese Mannschaft gibt es nicht mehr. Der Budenzauber ist vorbei.