Bisher hat sich die EM von ihrer besten Seite gezeigt, doch an diesem Tag, übrigens der achte, kehrt sie wieder zu normal zurück. Drei Spiele, drei Tore, davon zwei Elfmeter. Das Zähigkeitsniveau von 2016 ist wieder erreicht. Während sich Schweden und die Slowakei mühen, ihre günstige Ausgangsposition nach dem ersten Spiel auszubauen, beschäftige ich mit der Holzjalousie Lindmon des bekannten, weltweit agierenden Möbelhauses aus Schweden. Das Ding ist schwer, 1,4m breit und sucht einen neuen Besitzer, denn für die neue Wohnung ist es zu massiv. Ich suche die Länge zu ermitteln und die Jalousie im Liegen herunterzulassen – physikalisch ein unmögliches Unterfangen -, suche die Hilfe der Mutter meiner Tochter. Doch auch dieses Unterfangen gebe ich bald auf, dieser Mensch ist in praktischen Dingen, was die Behendigkeit betrifft, leider unbedarft. Ich mache es also alleine, repariere noch zwei, drei Kleinigkeiten und biege mit der torlosen ersten Hälfte in die Pause ein.
Leipzig-Forsbergt rifft vom Punkt
Der zweiten Hälfte widme ich mich dann mit voller Aufmerksamkeit und siehe da, es fällt ein Tor, ein Elfmetertreffer von Leipzig-Forsberg, nachdem der slowakische Torwart beim Herauslaufen den Bruchteil einer Millisekunde zu spät gekommen ist. Er hat wie sein schwedischer Widerpart noch mal die Gelegenheit, einen Kopfball spektakulär von der Linie zu baggern, dann ist Schluss und für beide Teams sieht es weiter gut aus, Schweden dürfte mit vier Punkten wohl schon durch sein, die Slowakei kann sich mit drei Punkten berechtigte Hoffnungen machen.
Die Mutter meiner Tochter ist in Tiefschlaf verfallen, ich gebe dem Drängen nach und gehe mit meiner Tochter in den Park. „Aber nur kurz, du sollst ja nicht so lange in die Sonne gehen!“, ermahne ich sie eingedenk des folgenden Spiels Tschechien gegen Kroatien. „Ja, Papa“, antwortet sie brav, aber natürlich kommen wir zu spät zum Anpfiff zurück. Vor dem Landwirtschaftsmuseum steht eine Hüpfburg, von welcher sie nur schwer wegzubekommen ist. Ich besteche sie mit einem Eis, das sie in der Hitze schnell essen muss, weshalb sie wiederum nicht so schnell gehen kann.
Leverkusen-Schick trifft vom Punkt
Ich weiß also nicht, wie viel ich verpasst habe, zumindest komme ich rechtzeitig zum Führungstor der Tschechen vor den Computerbildschirm. War es ein Foul oder nicht, ich weiß nicht, was die offiziellen Richtlinien hinsichtlich des Ellbogeneinsatzes derzeit besagen, auf jeden Fall macht Leverkusen-Schick mit einem Tampon in der Nase seinen bemerkenswerten dritten Turniertreffer.
In der zweiten Hälfte muss Koratien kommen und schießt auch gleich den Ausgleich, dabei sehen Perišić' Gegenspieler und der tschechische Torwart nicht so aus, als wären sie ganz auf der Höhe des Geschehens. Der Mann hat doch auch im WM-Endspiel getroffen, habt ihr das denn vergessen – möchte man den Tschechen zurufen. Anschließend ist es ein munteres Spiel, bei dem Kroatien auf den Sieg drängt, ihn aber nicht erringt. Tschechien hat vor dem Spiel gegen England komfortable vier Punkte, Kroatien mit dem einen Punkt noch Hoffnung.
Schlaf oder Wachkoma
Da die Tochter meiner Mutter weiterhin im Tiefschlaf, Koma oder was weiß ich welchen Träumen liegt, sehe ich keine Chance, England gegen Schottland in der Kneipe zu sehen, setze Zoe vor Youtube und springe schnell zum Einkauf. Zurück bin ich ziemlich pünktlich und sehe das zu erwartende Hauen und Stechen um die Krone des britischen Königreichs, das nach einem Abnutzungskampf mit einem leistungsgerechten 0:0 Unentschieden endet. Das heißt für diese Gruppe, dass auch England vor dem abschließenden gemeinsamen Aufeinandertreffen wie Tschechien vier Punkte hat, aber die um ein Tor schlechtere Tordifferenz. Ein Unentschieden ergäbe Tschechien erster, England zweiter. Spiegelverkehrt sieht es auch zwischen Schottland und Kroatien aus, nur dass ein Unentschieden das sicherliche Ausscheiden für beide Teams bedeutet, sie müssen im nächsten Spiel gegeneinander auf Sieg spielen.
Die Jugend Europas ballt sich unbeschwert zusammen
Meine Tochter bringe ich übrigens in der Halbzeitpause ins Bett und da sie nach Abpfiff tief schläft, habe ich frei und mache einen Erfrischungsspaziergang über die Letná-Ebene. Mit Erschrecken stelle ich fest, wie sich die Jugend Europas wieder unter dem ehemaligen Stalin-Denkmal zusammenballt, natürlich ohne Maske und viele sicherlich noch ungeimpft. Da könnte noch was auf uns zu kommen.
Nun, am folgenden Tag spielt Deutschland und für Löw bietet sich die letzte Chance, in alter Tradition ein Spiel zu vercoachen. Danach übernehmen die Spieler und legen die Taktik für das Spiel um die letzte Hoffnung gegen Ungarn selbst fest, fantasiere ich, wie einst Beckenbauer 1974 nach der Niederlage West-Deutschlands gegen die DDR. Oder Netzer beim Pokal-Endspiel 1973 zwischen Mönchengladbach und Köln. Wer könnte dabei der Rädelsführer der vorzeitigen Machtenthebung sein? Eigentor-Hummels? Radio-Müller? Löw ist doch jetzt schon eine lahme Ente, wie der Engländer in Übersetzung sagt, werden sich die Spieler für das Portugal-Spiel fügen? Oder geht Löw wie gegen Frankreich auf Nummer sicher und bringt eine Konsens-Aufstellung mit einer Taktik ohne Risiko, aber auch ohne Inspiration? Man wird es noch sehen.