Mit Gruppe B hält der langweilige, aber hochmoderne Fußball Einzug und geizt sowohl mit Toren wie auch echten Emotionen. Es riecht einfach nur nach Arbeit und Feierabend. Holland – Dänemark 0:1, Deutschland – Portugal 1:0
Alles fällt heute schwer, am Tag danach. Ich fühle mich so ähnlich wie Schweinsteiger, alles tut weh und ich kann mich nicht daran erinnern, dass dieser Arbeitssieg irgendwelche Glückgefühle ausgelöst hätte. Im Gegenteil, ich fühle bereits den Schatten dieses Sieges auf den kommenden Ereignissen ruhen. Wenn es wahr ist, dass man nur einen gewissen Anteil am Glück für solch ein Turnier aufbrauchen kann, dann müssen wir einfach in Zukunft besser spielen, nämlich überzeugend.
Feuer frei bei der Hitze
Doch gehen wir chronologisch vor. Das Wetter ist hier pünktlich zur EM auf Hochsommer umgeschlagen, das heißt 30 plus im Schatten, Celsius, versteht sich. Ich nehme den langen Weg, am Friedhof und Kloster (Weltkulturerbe!) vorbei, den Hügel hinauf, an den 60 russischen Wohncontainern vorbei, wo auch 13 Jahre nach dem Krieg noch Flüchtlinge hausen müssen (serbische, offiziell displaced persons, also solche, die innerhalb des Landes nicht mehr nach Hause zurückkehren können), an vereinzelten wilden Müllhalden, verwilderten Hunden, die aber Angst vor Menschen haben – sicherlich nicht ohne Grund. Noch im Dorf bzw. Städtchen konnte ich dem Drang nicht widerstehen und habe mir eine Büchse Skopsko, das ist das Bier aus Skopje, zugelegt. Und bald geleert, auch abgelegt.
Schließlich komme ich auf den Hügeln an einem munteren Feuerchen vorbei, ich frage launig den Feuerunterhalter, der wie ich sein T-Shirt ausgezogen hat, ob ihm kalt wäre, er versteht so viel, dass er immerhin „ah, Deutschland“ antwortet. Eine Matratze brennt ab, der noch ein Sack mit anderem Müll folgen wird, ob er seine Frau verstoßen hat und nun symbolisch die einst gemeinsame Bettstatt opfert, kann ich nur vermuten. Einige Meter weiter hängt eine albanische Fahne von einem Ast, zwar etwas löcherig, doch gut erkennbar. Ich fasse den Stoff nicht an, da ich weiß, wie heikel das sein kann. Auf dem gesamten Balkan gibt es wahrscheinlich keine andere Fahne, die so häufig im Ausland gehisst wird. Ich habe sie in allen Nachbarländern gesehen, auf Friedhöfen, an Tankstellen, Restaurants, Auto-Werkstätten, kleinen Läden, die nicht viel mehr als Cola und Chips anzubieten haben, einfach so mal in der Gegend, sogar neben wilden Müllhalden. Und nun eben am Wegesrand. Mir ist das irgendwann nicht mehr aufgefallen, doch eine Bekannte auf Besuch zeigte sich doch mächtig irritiert. Sie schloss daraus: Die müssen doch ziemlich nationalistisch sein. Ach, dachte ich mir damals, hm, so habe ich das noch nicht gesehen. Dann dachte ich kurz über Hirnwäsche nach und darüber, dass dieser ganze Kosovo-Krieg im Nachhinein doch so einen schalen Nachgeschmack, auf Neu-Deutsch „Geschmäckle“ hat und maß der Angelegenheit keine größere Bedeutung mehr zu.
Also, der Matratzenzündler hat wahrscheinlich seinen Müll, so denke ich mir, auf die Gemarkung Gracanicas gekarrt, eine Schubkarre kann ich ja entdecken, um sich anschließend hinter die Demarkationslinie (albanische Flagge) zurückzuziehen und dann zu behaupten, die Serben haben auch wirklich alles kaputt gemacht (siehe meine Kolumne Tag 1).
Der Van-Bommelismus scheitert
Eine ganze Weile später erzählt mir Hans, wie ich nachfrage aus dem Geldernlande, den dazu passenden Witz: Ein Kosovo-Albaner ist in Albanien am Meer. Er unterhält sich mit einem Einheimischen und fängt an, über das Blau vor ihm zu schwärmen. Da fragt der Einheimisch: Na, habt ihr bei euch auch so ein schönes Meer? Der Kosovo-Albaner antwortet darauf: Weißt du, die Serben haben bei uns auch alles kaputt gemacht.
Ich kann den Wahrheitsgehalt dessen nicht beurteilen, doch die komische Straßen- und Wegführung über die Hügel zwischen Gracanica und Prishtina, vorbei an einem großen Haus mit weitläufigem Gelände, schön hinter Stacheldraht abgegrenzt, wer weiß, wer dort wohl vor der bösen Welt abgeschirmt wird?, führt immerhin dazu, dass ich 20 Minuten des Spiels Holland gegen Dänemark verpasse. Wie sich herausstellt, die entscheidenden, denn während dieser Zeit ist das einzige Tor des Spiels gefallen, nämlich für die Dänen. Wie ich nach dem Spiel sehe, auf eine derart erschreckend simple Art, dass mir Hansens Befürchtungen vor der holländischen Abwehr, bereits am Vortag geäußert, höchst plausibel werden. Er spart auch nicht damit zu betonen, dass van Bommel des Trainers Schwiegersohn sei. Nun ja, das kann ja Zufall sein, wenn einer eben eine schöne Tochter hat und die sich in einen aus dem Metier des Vaters verkuckt… Fußballspieler sind doch ganz beliebt bei Frauen, hat mir eine Slowakin mal erklärt, sehen gut aus, haben eine gute Figur und Kondition, verdienen, wenn sie denn Profis sind, auch nicht gerade schlecht. Mehr muss man auch nicht unbedingt verlangen. Ich persönlich tue das auch nicht, ich erinnere da gerne an Andy Brehme. Wenn der 1990 beim WM-Endspiel mit dem Denken angefangen hätte, hätte er den Elfmeter sicher nicht reingemacht. Er hat ja angeblich sogar mal behauptet, wenn er beim Elfmeter anläuft, weiß er manchmal noch nicht einmal, ob er den mit rechts oder links schießt. So beidfüßig war der und auch bi-hemisphär, äh, also, äh Hirnhälften und so. Ist eh überschätzt, zumindest bei Fußballern. Zumindest denjenigen älteren Schlages. Zurück zu Hans, der allerdings bekennt, dass er eine persönliche Abneigung gegen Herrn van Bommel hegt, nämlich wegen dessen Neigung, Gegenspieler einfach mal umzuhauen, wenn das Spiel nicht so läuft.
Das macht er dann auch in Hälfte Zwei wahr, ändert aber nix am Spielverlauf. Holland ist optisch überlegen, hat dann und wann auch eine gute Chance, die van Persie stümperhaft vergibt (der ist Torschützenkönig in England? Unfassbar, die Barclays league ist wohl doch gnadenlos überschätzt) oder Robben über das Gestänge drischt. Gegen Ende kommen mit van der Vaart und Huntelaar auch echt Bundesliga-gestählte Kreativspieler, doch das wirkliche Aufbäumen bleibt aus, Holland scheint sich in sein Schicksal ergeben zu haben. Das löst in der Bar Ninetyone, der neben der Polizei, bei der holländischen Kolonie (drei Mal so stark wie die mit ihnen vereinten Dänen) kein wirkliches Entsetzen aus. Komisch, ich hätte da wohl anders reagiert.
Herrliche Atmosphäre, mühsames Spiel
Spiel Zwei am Abend, diesmal ist mein Patriotismus gefragt, in der Deutschen Botschaft Prishtina. Wunderbar, es gibt herrlich gekühlte Dosen Budvar (tschechisches Bier), dann auch Warsteiner und Becks (deutsche Biere), es wird gegrillt, Salate wurden mitgebracht, es ist ein herrlich lauer Sommerabend, einfach perfekt. Vielen Dank nochmals auf diesem Wege! Ich frage einen österreichischen Bekannten, ob er wirklich für Deutschland ist, er erwidert, er würde portugiesische Tore bejubeln, was ich angesichts der Einladung nicht in Ordnung finde. Man muss sich ja nicht für Fußball interessieren, doch ein gewisses Maß an Respekt für den Gastgeber, so denke ich, gehört schon dazu. Das sind die (jetzt habe ich das Original-Wort vergessen) Paradoxe?, Ungereimtheiten?, Diversitäten?, die man im Kosovo aushalten muss. Ob er da viel aushalten muss, weiß ich nicht, doch ich weiß, dass mich irgendwelche Gäste, die ein, zwei Mal im Jahr auf Grundlage eines Projekts seit Jahren für kurze Zeit anreisen, stets beknien, die Dinge nicht so zu sehen, wie sie sind. Ach ja, ich kann es nicht mehr hören, das rhetorische Hintergrundplätschern all derjenigen, die mit entsprechend gut geölter Helfermentalität zum Ausschalten des klaren Menschenverstands auffordern.
Das Spiel, auf jeden Fall, läuft weit weniger gut geölt von der deutschen Seite. Vielmehr hat man in der letzten Aktion in der ersten Halbzeit alles Glück der Welt, dass der Ball von der Unterkante der Latte nicht im Tor landet – Pepe ist wohl der Schütze -, sondern nur auf der Linie und dann raus springt. Auch die zweite Hälfte ist nicht wesentlich besser, doch immerhin schafft das kosovarische Fernsehen es diesmal, mit Anpfiff einzuschalten, bei Spielbeginn werden großzügig die ersten dreieinhalb Minuten der Werbung überlassen. Nationalhymnen? Papperlapapp. Kann man aber auch nachvollziehen, denn das Land besitzt zwar auch eine solche, die aber niemand kennt, da sie keinen Text beinhaltet und die Musik klingt, als hätte man den kleinsten gemeinsamen Nenner aller anderen Nationalhymnen vertont.
Nun ja, nach 20 Minuten Spielzeit in Halbzeit Zwei entdecke ich auch mal Schweinsteiger am Ball, ich wehre eine frühe Auswechslung von Gomez mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln ab („bekommt keine Bälle, Klose würde da auch verhungern, hat ja ein Tor gemacht, als mal ein Ball kam, nur der Schiedsrichter wollte partout Deutschland den Vorteil eines Freistoßes nicht nehmen, den Podolski in die Mauer gehämmert hat, hört jetzt endlich auf blöde Witze über seine Frisur zu machen, ihr Glatzköpfe!“ – letzteres habe ich nicht gesagt), bis er dann doch noch das einzige Tor des Abends köpft. Neuer wehrt noch einen Ball mit seinem Gemächte ab, Badstuber fängt sich an der Außenlinie eine Watschen von seinem Gegenspieler – also wirklich, Herr Schiedsrichter, wenn man das sieht gibt es dafür einfach mal Rot! – auch der letzte portugiesische Eckball wird über die Latte geköpft und dann ist es geschafft. Ich erkläre noch ein paar Leuten, dass ich auch geschafft bin, denn so manchem geht so ein Spiel wohl nicht so recht nahe, und begebe mich auf den knapp dreistündigen Fußmarsch von Albanistan nach Serbistan, wie ich die beiden irgendwie nicht recht zusammen passenden Teile Kosovos nenne, um sie nicht mit den Mutterländern beider Namen zu verwechseln. Mitten in der Nacht komme ich unbehelligt nach Hause, geschafft! Das Motto des Tages vor dem Einschlafen im Kopf: Sehr viel Glück, aber ohne Glücksgefühle auszulösen!