Prag - Tag 6: Wir werden Weltmeister. Nach diesem Tag ist das so klar wie nie. Alles läuft wie 1974. Doch der Reihe nach. Wir spielen also wieder mal gegen Polen. Über dem Frankfurter Waldstadion platzt eine Regenwolke und setzt das Spielfeld unter Wasser. Die Polen sind entsetzt.
Straft Petrus sie jetzt, weil sie eine Volksrepublik sind? Deren Sponsor ein Schuhkombinat aus Swerdlowsk ist, das immer noch an der Erfindung des Schraubstollens herumexperimentiert? Tip und Tap, die Maskottchen der WM (Frage von Tag 1) bemühen sich unentwegt, mit kleinen Eimerchen das Wasser vom Spielfeld zu schöpfen.
Der Anpfiff muss deshalb sogar verschoben werden. Letztendlich entscheidet ein FIFA-Gericht, ein Wiederholungsspiel 32 Jahre später auszutragen. Und sollte Polen diesmal gewinnen, erhalten sie nachträglich einen Vertrag mit einem bekannten Schuhausrüster, einen Papst und die Niederlausitz. Wenn aber Deutschland gewinnt, werden wir vorzeitig Weltmeister.
Uli Hoeneß darf nicht schießen
Uli Hoeneß verschießt also schon damals einen Elfmeter (hat der denn jemals einen reingemacht?). Im Wiederholungsspiel bekommen wir erst gar keinen, da der Uli Knieprobleme und 50 Kilo Übergewicht hat und den Anlauf nicht mehr schafft. Dabei könnte ich schwören, ich habe mindestens drei strittige Szenen gesehen. Polen ist klar besser, Lato und Co. spielen eine Chance nach der anderen heraus. Ich nage bereits den zweiten Fingernagel ab und warte darauf, dass wir wieder mal angreifen. Doch auch diesmal bleibt der Ball in einer Pfütze liegen, ein Stöhnen geht durchs weite Rund. Sepp Maier rettet durch einen mutigen Sprung vom Drei-Meter-Brett, ein Salto rückwärts aus dem Handstand mit eingedrehter Schraube. Leider spritzt das Wasser beim Eintauchen, das gibt Punktabzug.
Wir sind klar besser, aber unser Spätaussiedlersturm aus Niederschlesien zeigt Nerven. Dazu hat unser Görlitz/Zgorzelec-Mittelfeld Ballackowski und Sznejdinski nicht seinen besten Tag erwischt. Polen allerdings auch nicht, was sicher daran liegt, dass sie es diesmal mit Schwimmbrillen versuchen. Und mit 24-Milimeter Schraubstollen, drei Stück pro Schuh für schweres Geläuf. In Dortmund ist aber kein Wölkchen am Himmel und Petrus lacht. Der Papst ist mittlerweile auch Deutscher, unser Bundespräsident wiederum Pole. Kein Spiel für politische Leichtgewichte, sondern ausschließlich für multi-kulturell erfahrene Spieler.
Tor! Dann: Aus, aus, aus, Deutschland ist Weltmeister
Klinsmann macht in dieser Situation das einzig Richtige, er wechselt seinen Halb-Nigerianer ein, angeblich der schnellste Mann der ganzen WM, sowie ein Mitglied der Schweizer Garde. Und prompt trifft unser Bomber der Nation mitten ins Herz eines ganzen Landes. In Kraków, Wróclaw, Gdañsk und Szczecin gehen die Kerzen im Fenster aus.
Es hat wieder gemüllert. Das ist der Sieg. Diesmal müssen wir bis in die Nachspielzeit warten, dann macht Neuville auf Vorlage von Odonkor die Sache klar. Wieder verlöschen in Kraków, Wróclaw, Gdañsk und Szczecin einige Kerzen, dafür steht ganz Oppeln Kopf. Niederschlesien bastelt an einem neuen Autonomiegesetz. Ich habe mittlerweile keinen einzigen Fingernagel an der linken Hand mehr, bin schweißgebadet, aber restlos glücklich.
Der erste Elfmeter
Da war aber noch was an diesem Tag – ach ja, richtig, zwei weitere Spiele. Ich will es kurz machen. Es sieht nicht gut aus um die Eigenstaatlichkeit der Ukraine. Dafür hat sich die orangene Revolution wahrlich nicht gelohnt. Null zu vier gegen Spanien. Ich habe nirgends Ukrainer entdeckt. Die haben wahrscheinlich nicht frei bekommen und müssen ihre 36-Stunden-Schichten auf den Baustellen der Einheimischen noch fertig machen. Damit sie sich die 20 Euro verdienen, die der Schlepper für das gefälschte Arbeitspapier braucht. Der Schiedsrichter pfeift übrigens den ersten Elfmeter des Turniers, prompt eine Fehlentscheidung.
Und dann war da noch jener Torhüter, der bei 35 Grad im Schatten in langer Hose spielte. Das verlangen aber die strengen Sitten in Saudi Arabien so. Problematisch wirds erst, als er sich die Schuhe wieder zubinden will, denn seine Handschuhe sind angeschweißt. Ein munteres Spielchen endet schiedlich friedlich 2:2, Tunesiens Ausgleich in der Nachspielzeit deutet bereits auf den späten Treffer des kommenden Weltmeister im eingangs lange beschriebenen Spiel hin. Was soll ich sagen, alles spricht für uns.
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag
Noch ´ne Frage: Wie endete das Eröffnungsspiel der WM 1978 zwischen Deutschland und Polen?