Kopf hoch, Jungs! Das sah doch schon viel besser aus als vor vier Jahren. Und einen Punkt mehr habt ihr in der Vorrunde auch geholt. Es geht aufwärts! Und erst das Torverhältnis, das ist sogar positiv! 6:5. Ich sehe das Projektteam Deutschland EM 24 auf einem guten Weg.
Klar, fünf Gegentore in drei Spielen, das sind auf eine Bundesligasaison hochgerechnet 56 bis 57, entspricht dem Niveau des FC Augsburg in der vergangenen Saison. Aber bei einer WM erreichen nicht alle Teilnehmer Bundesliga-Niveau. Und vielleicht hat das Projektteam Deutschland EM 24 in zwei Jahren auch einen besseren Torwart. Es ist sicher eine ehrenwerte Sache, Alter und Erfahrung einbringen zu wollen, doch ich plädiere für die Rente mit 36 bei Profifußballern. Zumindest auf Bundesebene, wie die Privatwirtschaft das handhabt, bleibt selbstverständlich ihr selbst überlassen. Deutschland, ewig Torwartland, hat im Kasten ein Problem, nämlich dasselbe wie letzte WM, nur eben um vier Jahre angewachsen.
Kein public viewing in Prag
Ich habe übrigens den grandiosen und überaus verdienten Sieg gegen Costa Rica zu Hause am Computer geschaut. Public viewing ist bei dieser WM nicht so angesagt. Mein einziger Versuch in dieser Hinsicht, vergangenen Sonntag beim Spiel Spanien gegen das Projektteam Deutschland EM 24, endete in einem Fiasko. Wie bei so vielen Turnieren zuvor begab ich mich in Freds Bar, wenn auch diesmal mit sehr gemischten Gefühlen. Die Bar war äußerst übersichtlich besetzt, an der Theke stand fromage-Gael, der diese WM aus Prinzip boykottiert. Und pünktlich zum Anpfiff auch schon weg war. Bevor ich es mir noch recht überlegt hatte, ob ich bleiben sollte, stand bereits ein Bier vor mir. Immerhin, die Barfrau fieberte als halbe Spanierin bei diesem Spiel ab und an mit, wenn die Arbeit hinter der Bar es ihr erlaubte.
Amerika schießt quer
Leider saß auch Radio Jason in der Ecke, das hätte mich warnen sollen. Der Propaganda-Sender der amerikanischen Blasiertheit und Überheblichkeit sendete ununterbrochen sein anti-WM Programm, abwechselnd in mehreren Sprachen mit derselben Botschaft: Dem Sandmann muss man eine Lektion erteilen. Fußball ist etwas für Homosexuelle und Weicheier. Wir haben es dem Sandmann beim 0:0 gegen England gezeigt: So geht Boykott. Radio Jason war auf Endlosschleife gestellt, gegen die 3, 4 Promille, die die Leitfähigkeit der Synapsen im Zentralrechner blockierte, kämpfte ich erst gar nicht an. So lange das Spiel zweier hoch bemühter Mannschaften torlos hin und her ging, schaffte ich es noch, die Propagandamaschine zu überhören.
Plötzlich Fußballfieber
In der Halbzeit wollte ich eigentlich weg, doch das gerade erst angetrunkene zweite Bier war mit zu schade. Als dann das Tor der Spanier fiel, überfiel mich das Fußballfieber, das mich erstmals bei dieser WM am Mittag ergriffen hatte, als ich die letzten Minuten mit Costa Rica gegen Japan mitgefiebert hatte - unbeachtet auf einem Weihnachtsmarkt, mit einem schlauen Telefon in der Hand. Fromage-Gael hatte es nicht fassen können, dass ich mich für dieses Spiel begeisterte. „Sowas schaust du dir an?“ - „Aber das ist wichtig für Deutschland!“ Das wiederum hatte er verstanden und sich wieder der Vorbereitung des Raclette-Apparats gewidmet.
Nun fieberte ich also wieder am Abend und wäre geblieben, wenn ich dieses verdammte Radio Jason nur hätte abstellen können. Da ich gegen Gewaltanwendung bin, wählte ich diesmal Deeskalation und Rückzug, trank schnell aus, zahlte und eilte nach Hause, wo mich auf dem Computerbildschirm neue Spieler erwarteten. Einer jener mit dem poetischen Namen Füllkrug traf ganz prosaisch ins Tor. Das Projektteam Deutschland EM 24 ging diesmal nicht als Verlierer vom Platz und hatte noch berechtigte Hoffnungen auf ein glückliches Ende.
Fußball am Rande
Katar 2022 ist keine WM für public viewing, Ich verbringe die WM-Spiele bei der Arbeit, wenn es geht, läuft das schlaue Telefon oder der Computer tonlos nebenher. So habe ich schon viele Tore verpasst, die immer dann zu fallen scheinen, wenn ich just nicht hinschaue. Manchmal weiß ich auch gar nicht, wer eigentlich spielt, dann spielt eben Rot gegen Weiß und wenn die Gegner etwa Tunesien und Dänemark heißen, brauche ich das halbe Spiel um herauszubekommen, wer in Weiß und wer in Rot spielt. In jenem Fall war das aber auch egal, da sowieso kein Tor fiel. Oder die Niederlage des Projektteams Deutschland EM 24 gegen Japan, die tat ich mit einem Achselzucken ab und wendete mich wieder den zu bearbeitenden E-Mails zu.
Heimliches Schauen
Ich schaue aber immerhin nicht mehr verschämt, heimlich, wie zu Anfang. Irgendwo in der Ecke der Metro, mit dem schlauen Telefon, das so schlau ist, mir in Prag zu sagen, dass ich in diesem Land nicht befugt bin, den livestream des Tschechischen Fernsehens zu verfolgen. Unterwegs, in der Metro, bin ich mit dem schlauen Telefon und seiner deutschen Nummer auf exterritorialem Gebiet. Aus Diskretion schalte ich den Ton aber ganz ab. Einer der beiden deutschen öffentlich-rechtlichen Sender hat Hanno Balitsch als Sachverständigen der Kommentatorin beigegeben. Ich kann mich leider nicht erinnern, ob Balitsch es auch mal zu einer WM geschafft hat. Wo hat der überhaupt gespielt? Leverkusen? Unter Triefnase Daum, dem fast-Bundestrainer in der dunkelsten Zeit des Nationalmannschaftsfußballs? Ging jemals ein Raunen durch das Stadion, wenn sich Balitsch von der Ersatzbank erhob? Der Hanno macht sich warm, jetzt kommt die Wende. Ich erinnere mich nicht, finde das Thema aber zu belanglos zum Nachgoogeln.
Der alte Trott gegen Japan
Dass das Projektteam Deutschland EM 24 gegen Japan verliert, hatte ich nicht erwartet, ich dachte, das Team wäre über diese Projektphase hinaus. Verwundert hat es mich nach dem Spielverlauf aber auch nicht, die alten Fehler sind noch nicht überwunden. Wenn Immer-für-einen-Elfmeter-Gut Schlotterbeck in der Abwehr spielt, bin ich auf alles gefasst. Der Mann wusste bereits bei seinem letzten Spiel für den SC Freiburg, dass er den größten Fehler seines Lebens macht, nämlich zu Karriereknick-Dortmund in die Schweizer-Käse-Abwehr zu wechseln. Seitdem spielt der Mann Champions League und ist leistungsmäßig kein Kandidat mehr für das Projektteam Deutschland EM 24. Oder vielleicht gerade deshalb, denn das Entwicklungspotential hat sich durch den unsachgemäßen Gebrauch von Talent schlagartig erhöht.
Keine fake news: Müller Mittelstürmer
Nach dem Japan-Spiel geisterte die unsägliche Idee, Müller Mittelstürmer spielen zu lassen, durch die digitalen Gazetten. Ich hielt diesen alten Hut für eine Nebelkerze des Trainers, um seine wahren Absichten zu verschleiern. Das hatte ja sein Vorgänger (der in der arabischen Übersetzung Assad heißt), dem der jetzige Trainer in der Anfangszeit noch assistierend zur Seite gestanden hatte, schon erfolglos ausprobiert. Jahre ist das her, als für manche Spiele außer Kießling kein Mittelstürmer mit akzeptabler Trefferquote zur Verfügung stand. Klose verletzt oder nach dem Karriereende, Gomez verletzt oder völlig außer Form, Kuranyi verbannt und in Moskau kaltgestellt. Außer Kießling keiner da, da musste man schon zu Notnagel-Müller greifen, um den Leverkusener weiter ignorieren zu können.
Schon im Spiel gegen Japan hatte ich das Gefühl, Projektleiter Flick macht den Löw und inszeniert dieselbe Dramaturgie wie der späte Löw: Drückende Feldüberlegenheit, beeindruckende Ballbesitzwerte, hauchdünne Vorsprünge, was durch unmotivierte Auswechslungen zu einem hochdramatischen Finale gesteigert wird. Das ist gut für die Aufmerksamkeitsökonomie, so hält man die Zuschauer bis zum Ende am Fernsehapparat oder schlauen Telefon, die bei einer beruhigenden Führung frühzeitig zum Tagesgeschäft übergegangen wären. Und nun noch der doppelte Müller als stumpfe Spitze, mehr handycap kann man dem eigenen Team eigentlich nicht auferlegen, um Lernschritte zu erzwingen. Vor allem im Spiel gegen Costa Rica, wo es doch klar war, dass man mit möglichst vielen frühen Toren die Spanier im Parallelspiel wach halten musste, damit die das Spiel gegen Japan nicht herschenken.
Schnelles Tor
Zehn Minuten brauchte das Projektteam Deutschland EM 24 für das erste Tor, wenn es in dem Tempo so weitergegangen wäre, hätte das mit dem aufzuholenden Torverhältnis gegenüber Spanien geklappt. Ging es aber nicht, niemand war fähig, eine Lücke im überbevölkerten Strafraum zu finden. Zum Schluss der ersten Halbzeit zeigte sich das Projektteam Deutschland EM 24 generös und ließ den Gegner auch mal aufs Tor schießen. Diesmal hielt der Torwart noch.
Champions Laegue Fußball gegen Zweite Liga
Ich dachte mir dabei nur: Verstehen die Spieler das denn einfach nicht, sie spielen hier nicht Champions League, sondern gegen einen Gegner, den man mit dem Bielefeld der vergangenen Bundesliga-Saison vergleichen kann: solide kämpfend und verteidigend bei bescheidenen spielerischen Mitteln. Wenn man dort den Schienbeinslalom mit doppelt eingedrehter Pirouette macht (natürlich mit Ball), hat der Gegenspieler noch nicht auf die erste Finte reagiert, wenn man mit der zweiten wieder am Ausgangspunkt zurückgelangt ist. Da steht er dann immer noch, der Gegenspieler, weil er sich weigert, all die spielerischen Finessen zu begreifen und die Bewegungen mitzumachen. Was nützt der dreifache Doppelpass mit anschließender Spielverlagerung, wenn die Gegenspieler einfach nicht mitverlagern, sondern stoisch im Fünfmeterraum warten? Die besten Kombinationen, um eine Abseitsfalle zu überspielen, nützen nichts, wenn der Gegner gar nicht auf Abseits spielt.
Trotzdem, Kopf hoch, Jungs! Gegen bessere Mannschaften funktionieren all die fein ausgeklügelten Manöver dann auch. In den Spielen, in denen es dann gilt.
Die Bundesliga macht Hoffnung
Wie man hört, wird die Bundesliga ja immer schlechter und deutsche Spieler sind nicht mehr so gefragt in der Premier League. Wenn jetzt doch die Superliga für Vereinsfußball auf Europaebene kommt und sich Bayern München endlich aus der Bundesliga verabschiedet, ist das die Chance für den deutschen Fußball. Dann kann das Projektteam Deutschland EM 24 wieder von Mannschaften wie Frankfurt und Freiburg lernen, wie man soliden Fußball spielt und Erfolge einfährt. Dort spielen übrigens zwei Japaner, die nach dem Sieg gegen Spaniern als Gruppensieger ins Achtelfinale einzieht.
Zum Schluss des Workshops für Mitarbeiter noch eine feine Geste des Projektleiters Flick: Endlich ließ er den langjährig zuverlässigen, aber nie beförderten Mitarbeiter von der letzten Reihe, Ginter, auch mal auf der großen Bühne auftreten, wenn auch nur kurz und nach der großen show. Das gibt diesem sicherlich das Gefühl, weiterhin gebraucht zu werden und sich die innere Kündigung nochmals zu überlegen.
Die Schuld von 1982 beglichen
Und noch ein dickes Lob für das Projektteam Deutschland EM 24. Immerhin habt ihr während des Spiels gute Miene zum bösen Spiel gemacht und seid nicht in den Zynismus-Modus verfallen, Costa Rica den Sieg zu schenken und Spanien beim Ausscheiden mitzureißen. Das war der so lange verschobene Dank für die WM 1982, Zwischenrunde Dreiergruppe mit England, Spanien und Deutschland (West). Nun ist diese Schuld, die die zynischste, leider damit aber auch erfolgreiche westdeutsche Nationalelf vor über 40 Jahren dem Projektteam Deutschland EM 24 aufgeladen hat, endlich abgegolten. Jetzt ist der Weg frei, Jungs, jetzt dürft auch ihr wieder ergebnisorientierten statt ballorientierten Fußball spielen, dürft einen Gegner auch mal gewinnen lassen, wenn es dem eigenen Erfolg nützt, und braucht nie wieder an die Anständigkeit und Fairness zu appellieren, an die Menschenrechte und Menschenwürde, an den Fairnessgedanken oder an die Ethikkommission denken, wenn das Runde ins Eckige muss, egal wie.
Auf zur EM 2024
Also, Kopf hoch, Jungs, zurück in das kalte vorweihnachtliche Deutschland und fleißig weiterüben. Bis Januar ist für die meisten erst Mal Pause, da hat man Zeit, an den Grundlagen zu feilen, im Sommer ist dann auch mal wieder Pause und im Sommer danach die Heim-EM. Dann zählt es, dann sollte das Projektteam Deutschland EM 24 zum echten Flick-Werk gereift sein.