Prag - Tag 16: Die Gruppenphase ist überstanden. Unglaublich, gestern haben wir uns noch voller Begeisterung Spiele wie Tunesien gegen Saudi Arabien angeschaut. Oder Paraguay gegen Costa Rica. Doch wenn ich mich recht entsinne, wartet genau dieses Spiel noch auf mich, aufgenommen auf Video, für den ersten fußballfreien Tag in der kommenden Woche.
Egal, ab jetzt ist jedes Spiel wichtig und gleich sind Unsrige im Geschehen. Das heißt also wieder Einberufung des Rates der vier Fußballweisen, strenge Klausur und gnadenlose Auswertung. Diesmal wird das Bier bis nach dem Spiel verschoben, schließlich gehts es bereits um Alles.
Na ja, eben um das Erreichen des Minimalziels. Wir spielen gegen Schweden. Wie, die sind bisher in dieser Kolumne noch nicht aufgetaucht? Na ja, die haben sich ja auch durch die Vorrunde gemogelt und jetzt stehen sie in München auf dem Rasen.
Das Hitzeschlag-Duell
Der Schwede mag ja im Allgemeinen die Hitze nicht so sehr. Deshalb spielen wir gegen ihn auch nachmittags bei 40 Grad im Schatten, wenn die normalen Menschen in südlichen Ländern Siesta halten. Der Klima-Trick zeigt sofort Wirkung, besonders die hellhäutigen und glatzköpfigen Schweden-Kicker erleiden gleich einen Sonnenstich. Ich hatte einmal einen solchen, 1988 in der Türkei, und weiß, was es bedeutet, unter solchen Bedingungen Fußball zu spielen.
Davon profitiert dann unser Polen-Sturm. Klose zerlegt die schwedische Abwehr wie ein IKEA-Regal (ha!), das man dann gleich wegwerfen kann. Das Spiel ist eigentlich nach zwanzig Minuten vorbei, der Elch-Test bestanden. Was dann folgt ist ein munteres Scheibenschießen, bei dem der Schweden-Torwart sein Können zeigen kann. Unterbrochen wird unser Schusstraining nur durch eine rote Karte für Lucic. Der verlässt dann ganz schnell das Stadion und besetzt schon mal den besten Tisch im Biergarten für das Abendspiel. Und durch einen Elfmeter, den Larsson über die Latte jagt. Tja, Lehmann im Tor ist halt ein echter Elfmeter-Killer!
Larsson versagt wie alle Schweden
Hatte Larsson ja noch neulich in Prag auf einer Herrentoilette getroffen. Da machte er noch einen ganz ruhigen Eindruck und freute sich auf eine Begegnung mit uns.
Gut, wir sind im Viertelfinale und der Rat der vier Fußballweisen, diesmal nur in halber Stärke angetreten, hebt seine Klausur auf. Raus gehts in die Öffentlichkeit, Zufriedenheit demonstrieren. Die Einheimischen gratulieren uns mit sauertöpfischer Miene.
Als Revanche geben sie uns einen gebackenen Käse zu essen, der mir jetzt noch schwer im Magen liegt. Mann oh Mann, denke ich mir, wenn ich hier leben würde und das jeden Tag essen müsste! Aber halt, ich lebe ja hier und esse das trotzdem nicht ständig. Ist auch besser so, denn sonst sähe ich auch so aus, als habe ich einen Fußball verschluckt.
Spanisch ist angesagt
Spiel zwei an diesem ersten Achtelfinaltag ist Argentinien gegen Mexiko. In den Biergarten kommt man nur hinein, wenn man spanisch spricht. Ich gebe am Eingang die Losung „Olé“ und sage noch „La ola“ und schon bin ich drin. Denke an die Mariachi-Band von der WM 1986. Das Spiel beginnt beim Stande von 1:1.
Sehr ulkig, denke ich, dann passiert rund zwei Stunden wenig. Nein, falsch, es passiert viel, aber nicht das, was ich erwartet habe. Es gibt keine bösen Fouls, viel mehr, es gibt fast gar keine Fouls, nicht mal Schauspieleinlagen oder Messer in den Rücken.
Faires Duell zwischen Mariachi und Tango
In einem ausgeglichenen Spiel klaut der Schiedsrichter Argentinien den Sieg in der Nachspielzeit. Er verlegt ein klares Tor kurzerhand ins Abseits. Ich atme auf. In diesem Spiel gehts um unseren nächsten Gegner, da kann ich nicht unparteiisch, nicht einmal fair sein. Mechiko, ra, ra, ra schreie ich wie 1986.
Und dann passierts, es gibt Verlängerung. Bestelle noch schnell „seis cervezas y una cola“ für die Meute. Wir wetten weiterhin auf Abseits, Einwürfe und rote Karten - die ja überraschenderweise ausbleiben. Dafür aber nicht das argentinische Siegtor, das wahrscheinlich schönste Tor der WM. Aus der spiegelverkehrten Frings-Position (siehe Tag 1) nimmt Rodriguez den Ball mit der Brust und hämmert ihn in einem perfekten Sinusbogen in den entfernten Winkel. Also dann gegen Argentinien, denke ich mir, sch…
Die Freude über das Vordringen ins Viertelfinale ist ein wenig getrübt. Doch worüber soll man sich da freuen, ins Viertelfinale kommen wir doch seit Menschengedenken immer. Nur seinerzeit, 1938, ist uns nicht mal das gelungen. Da haben wir aber auch mit der halben österreichischen Nationalmannschaft spielen müssen. Befehl von oben. Und sind prompt ausgeschieden. Aber gegen wen war das noch? Das also ist die Frage für diesmal.
Ihr deutscher WM-Beobachter in Prag