Die Favoriten sind letztendlich ohne große Mühe weitergekommen, das nimmt Gerd Lemke dann die Spannung beim Zuschauen.
Nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit ist es dem tschechischen Präsidenten Václav Klaus gelungen, einen neuen Premierminister zu küren: Petr Nečas (sprich: Peter Netschass). Der sollte keinerlei Probleme haben, im Parlament die nötigen Stimmen Stimmen für sein Programm zu bekommen, immerhin verfügt seine designierte Koalition über 118 von 200 Sitzen. Doch diese Drei-Parteien-Koalition aus Konservativen (ODS), Gewandelten (TOP 09, ein Sammelbecken bekannter Politiker, die sich zu einer als konservativ einzuschätzenden neuen Partei vereinigt haben) und Populisten (VV, Abkürzung für „Öffentliche Angelegenheiten“, eine Gruppierung um einen Publizisten und den Chef der größten privaten Sicherheitsfirma) beinhaltet etlichen Sprengstoff. Noch steht die Ministerriege nicht, da ist heftiger Streit um die Besetzung des Innenministeriums ausgebrochen. VV will das unbedingt haben, Fürst Karel von Schwarzenberg (TOP 09) will das unter allen Umständen verhindern. Kein Wunder, sichert das Innenministerium doch den Zugriff auf alle Informationen der Geheimdienste und den Aufsicht über die Polizei im Lande. Tschechien auf dem Weg in einen Polizeistaat? Die derzeit starke Präsenz der Sicherheitskräfte auf den Straßen Prags könnten ein Vorbote der künftigen Entwicklung werden.
Angesichts dieser Ereignisse ist nun auch das schlecht maskierte Interesse der Tschechen am Schicksal der ehemaligen Brüder aus der Slowakei vollends erloschen. Es ist unverzeihlich, dass die Slowakei ein besseres Ergebnis erzielt als Tschechien während des Sommermärchens. Und Tschechien sogar in der Qualifikation geschlagen hat, auf deren eigenem Boden, im Stadion von Sparta Prag. Das kann die tschechische Seele auf Dauer nicht so leicht wegstecken. Außerdem hat die Slowakei bereits in den 1990er Jahren unliebsame Erfahrungen gemacht, was sich in Tschechien mit der Besetzung des Innenministers durch einen VV-Mann andeutet. Vladimír Mečiar fing auch einst als Innenminister an, ehe er das Land in einem Parforce-Ritt durch die Phase des Mafia-Kapitalismus führte. Heute ist die Slowakei ein vernünftiges Land, in dessen Stabilisierung vor allem Südkorea investiert hat, und auf dem Weg, den früheren Bruder im Westen abzuhängen.
Ich gehe in die nicht so kleine Kneipe bei uns in der Straße, wo der slowakische Koch und die slowakische Kellnerin bereits ihre Stellung vor dem Fernseher bezogen haben. Martin ist mit Herz und Seele dabei, wir Handvoll anderen wirken merklich apathisch und sitzen bei Wasser und Brot vor dem Bildschirm, als ob wir bereits wüssten, dass alles Hoffen und Bangen umsonst sein werden. Wir schalten sogar auf das slowakische Fernsehen um, nur nutzt das alles nichts. Ein lichter Moment von Arjen Robben genügt für die Führung in der ersten Halbzeit, ein Aussetzer von Torwart Mucha für die Entscheidung in der zweiten. Dazwischen verballert Robert Vittek, ein Kind der Bundesliga, drei dicke Chancen. Es sollte an diesem Nachmittag einfach nicht sein, die Niederlande spielen das Spiel abgezockt herunter. Mit der letzten Aktion des Spiels darf Vittek dann seinen vierten Turniertreffer erzielen, per Elfmeter. Zweieins, doch der Schiedsrichter pfeift die Partie anschließend erst gar nicht mehr an.
Die Niederlande suchen sichtlich nach der deutschen Erfolgsformel der 1980er Jahre, um endlich mehr als nur einen Schönheitspreis zu gewinnen. Im Viertelfinale geht es nun gegen Brasilien, das am Abend wenig Mühe beim Dreinull gegen Chile hat.
Die Slowakei fährt erhobenen Hauptes nach Hause, um die Hochwasserschäden dieses Sommers zu beheben. Martin findet das auch, denn ein Sieg gegen Titelverteidiger Italien und ein hartumkämpftes Aus gegen die Niederlande verdienen höchsten Respekt. Do videnia, Slovensko!
Der Abend gehört dem náměstí Hyundai Fan Park alias Altstädter Ring/Staroměstské náměstí, kurz: Das Herz der Finsternis. Ich bin etwas enttäuscht, das Spiel ist schnell entschieden, die brasilianischen Fans machen viel weniger Samba als einige Tage zuvor und Supermodell Gisela Bündchen ist diesmal nicht aufgetaucht. Die Dramaturgie des Spiels ist schnell erzählt. Chile versucht, mit Fußball auf technisch höchstem Niveau zu glänzen, doch das junge Team muss die Klasse und Erfahrung der Brasilianer anerkennen, die früh keinen Zweifel am Weiterkommen aufkommen lassen. Die jungen chilenischen Fußballer bemühen sich bis zum Schluss, die Brasilianer vorzuführen, doch beim Abschluss ist entweder ein Abwehrbein im Weg oder eine Zauberkombination zuviel. So steht ein letztendlich ungefährdeter Dreinull-Sieg zu Buche. Jetzt geht es gegen die Niederlande und die Fans spüren auch, dass sie ihre Kräfte bündeln müssen, um dieser Aufgabe entgegen zu treten. Deshalb gehen sie nach dem Schlusspfiff ins Ermüdungsbecken und früh zu Bett.