Am Morgen nach dem deutschen Fußballdrama mit Happy End komme ich nur schwer aus dem Bett. Ich fühle mich, als hätte ich selbst mitgespielt, das rechte Knie schmerzt und lässt sich nur mühsam bewegen, das linke fühlt sich an, als hätte mir jemand von hinten in die Kniekehle getreten, der Rücken ist an einer handtellergroßen Stelle taub. Eine Massage wäre jetzt genau das richtige, ich gebe das Kind an die Mutter weiter und lege mich wieder hin. Die gibt es mir aber wieder zurück und ich rieche etwas, was mich zum augenblicklichen Handeln zwingt. Wieder in der Vertikalen, bleibe ich einfach auf und gebe dem Kind auch sein Frühstück. Erst danach kümmere ich mich um mein eigenes Wohlergehen. Die Schmerzen lassen nur langsam nach. Es ist Sonntag, keine Termine und das erste Spiel wird erst einige Stunden später angepfiffen.
Englands leichtes Spiel
Es lautet England gegen Panama. Mein Kind hat mal wieder CDs sortiert und ist dabei auf die Box mit allen Alben von Violent Femmes gestoßen. Diesen Fingerzeig nutze ich und erfülle ihr den Wunsch, ich lege „3“ auf, habe ich lange nicht mehr gehört und ist echt gut. Selbstverständlich warte ich erst die Nationalhymnen ab. Der panamesische Chor der Fußballer schmettert das musikalisch wohlgeratene Stück martialisch mit. Die wilde Entschlossenheit schüchtert jedoch die englischen Fußballer kaum ein, die schnell aufzeigen dass der Fußballerchor aus Mittelamerika das Fußwerk genausowenig beherrscht wie das Stimmwerk. Die Sache ist schnell entschieden, nach der ersten Hälfte führen die Insulaner bereits 5:0.
Dem Kind gelingt es beim zweiten oder dritten Versuch einzuschlafen, dennoch kann ich mich nicht mehr auf Spiel 1 konzentrieren. Ich recherchiere die Folgen des Dramas für das deutsche Team. Kroos ist jetzt ein Held. Rudy hat eine gebrochene Nase. Zwei Funktionäre haben zu laut vor der schwedischen Bank gejubelt. Kroos kritisiert die Stimmen aus Deutschland, die sich ein Ausscheiden gewünscht haben und wird umgehend in einigen Blogs als arrogant und Schwalbenkönig der spanischen Liga beschimpft. Letztere Aussage ist so absurd, dass man dazu nichts weiter zu sagen braucht.
Welten treffen aufeinander
Draußen sieht das Wetter nicht gerade einladend aus, ich bleibe den ganzen Tag im Haus und erhole mich. Spiel 2 ist wesentlich spannender, im Spiel von Japan gegen Senegal prallen Welten aufeinander. Ich mag die Partie, beide Mannschaften haben ja etwas unerwartet das erste Spiel gewonnen und sind beflügelt. Senegal geht durch einen Torwartfehler in Führung, Japan schlägt zurück. Die zweite Halbzeit ist im Grunde genommen genauso, nehme ich an. Denn das Kind ist mittlerweile aufgewacht und fordert meine Aufmerksamkeit. Auf jeden Fall ist der Spielverlauf ähnlich, Senegal geht wieder in Führung und der eingewechselte Honda – war das nicht früher mal ein Motorrad? - schafft den Ausgleich. Ein echt sehenswerter Kick, den so nur eine WM produzieren kann, geht mit einem Unentschieden zu Ende.
Die Lebensgefährtin MM verabschiedet sich irgendwann ohne das Kind mitzunehmen. Sie rechnet mir etwas von 90 % vor, die sie sich um das Kind kümmert. Ich wärme später etwas Mussaka auf, die ich am Tag des Island – Nigeria-Spiels gekocht habe. Dem Kind schmeckt das immer noch hervorragend. Dann kann ich es für zehn Minuten mit einer Puppe beschäftigen, während mit Polen und Kolumbien die Verlierer der letzten Gruppe ums Überleben kämpfen. Wir spielen mit einem Auto und ein baumlanger Verteidiger der Kolumbianer köpft zur verdienten Führung ein. In der Pause wechsle ich nicht nur die Windel, sondern bereite auch das Nachtfläschchen vor.Kolumbien wieder wie 2014
Gerade, als die zweite Hälfte angepfiffen wird, arbeitet sich MM mit dem Schlüssel an der Wohnungstür ab. Ich habe gerade angefangen, dem Kind die Flasche zu geben, als sie die Tür glücklich aufbekommt und über den kaputten Schlüssel schimpft. „Schon wieder Fußball“, kreischt sie empört und verschwindet gleich wieder, die Tür hinter sich zuknallend. Ich habe bald meine Ruhe, da das Kind müde wird und sich brav ins Bett legt und einschläft. Das Spiel ist ganz ansehnlich, leider aber etwas einseitig. Falcao sorgt bei einem Konter für die Entscheidung und bald steht es dann 3:0. Polen gelingt einfach nichts und scheidet somit völlig verdient aus dem Turnier aus. Als MM wiederkommt, hat sie sich etwas beruhigt. Ich lasse den Sonntag mit einem Tatort ausklingen.