Was soll man diesem Spiel noch groß hinzufügen? Alles gesagt, alles geschrieben. Erdbeer-Nick gewinnt 20 oder 30 Bier im Fraktal und hätte sonst was dafür gegeben, die Biere zahlen zu müssen. Sein masochistischer Tip: Italien schlägt England 3:2. Vollkommen korrekt, nach dem 1:1 nach Verlängerung fanden nicht mehr Elfmeter den Weg ins Ziel, drei von neun, wenn ich richtig mitgezählt habe. Dabei hätte England dieses Desaster locker verhindern können. Hätte, hätte, Kettenöl. Aber der englische Angsthasenfußball hat vollkommen zu Recht verloren, wer ab der zweiten Minute, dem überraschenden Führungstor, auf Zeit spielt, hat es nicht besser verdient. Das war die Essenz des gesamten Turniers, was England im Finale abgeliefert hat. Wenn man gewinnt, ist es taktische Reife. Wenn man verliert, ist es das, was man in England seit einem halben Jahrhundert weiß: Taktisch ist die Mannschaft vielen anderen unterlegen. Über Italien muss man gar nicht reden. Unfassbar, wie England nach dem Führungstreffer immer mehr in Schockstarre verfällt. Und dann die Elfmeter, die Auswechslungen kurz zuvor, Trainer Southgate, zu deutsch, Südtor, transportiert sein Trauma anno 1996 auf die gesamte Mannschaft. Mann, Mann, Mann, England kennt Italien nicht, die Macchiavelli-Schule, Chiellini und Bonucci, die notfalls eben auch vorne für das obligatorische Tor sorgen.
Sterling taucht ab und nie wieder auf
Was habe ich während des Spiels über Sterling geschrieen, Schwalbenkönig, was auf englisch „Taucher“ heißt. Erdbeer-Nick und Leicester-John mussten das über sich ergehen lassen, ich habe ihnen aufs Brot geschmiert, dass sie sich immer darüber aufregen, wenn er das in den Farben von Man City gegen Liverpool oder Leisester macht. Mein Gott, was für ein guter Fußballspieler und macht sich das durch seine Sturzmanie kaputt! Im Endspiel war dann aber Schluss mit lustig, der niederländische Referee Kuipers hat nur müde abgewinkt, das war die beste Schiedsrichterleistung seit langem, eindutig der beste Mann auf dem Platz!
Alles Kopfsache
Tja, England, den Titel haben sie auf dem Silbertablett präsentiert bekommen, doch vergessen zuzugreifen. Im Kopf werden solche Spiele entschieden, da hatte England nach dem Führungstor plötzlich etwas zu verlieren, nicht zu gewinnen. Italien hat das sehr klug gemacht, die Mannschaft hat sich ins Spiel zurückgearbeitet und irgendwann getroffen, nach einem Eckball, den Verrati – der Mann misst nicht einmal eins siebzig – an den Pfosten geköpft hat – wie zum Teufel kann der da überhaupt an den Ball kommen? Den Abpraller netzt Bonucci ein, wenn er es nicht gemacht hätte, hätte es Elfmeter geben müssen, Foul an Chiellini, den anderen italienischen Innenverteidiger Mitte dreißig. Das war die logische Konsequenz aus Englands Taktik der Spielverweigerung. Es ist nach wie vor für mich unfassbar, wie die Mannschaft dieses Spiel aus der Hand geben konnte. Schon nach einer halben Stunde musste ich sagen: „Das Tor ist gut für England, aber Gift für das Spiel.“
Frühes Tor – Gift für das Spiel
Später habe ich mich korrigiert, das Tor war nicht nur Gift für das Spiel, sondern vor allem für England, das dem Druck einfach nicht gewachsen war. 55 Jahre später war Wembley einfach zu groß, aber ich habe einen Trost für meine englischen Freunde, ein großes Team wächst durch große Niederlagen zusammen. In eineinhalb Jahren ist die WM in Katar, da gibt es kein Wembley, keinen Boris Johnson, der das Turnier zur eigenen Machtstärkung überhöht, da können die Spieler befreit aufspielen, vielleicht befreit sie Südtor auch endlich von diesen absurden Defensivfesseln, die er der Mannschaft aufgezwungen hat, in dem Wissen, dass so viel Offensivtalent irgendwann auch trifft.
Ja, damit ist auch endgültig die Ära Löw zu Grabe getragen, mit einem Weltmeister Italien, 2006, Löw noch als Co-Trainer, und einem Europameister Italien. Dazwischen die epische Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien mit Toni Kroos als Manndecker gegen Pirlo und einem Viertelfinalsieg in einem arg wackligen Elfmeterschießen (Glücksschütze Jonas Hector) 2016. Italien, das ist das Maß der Dinge im Fußball, dort wurde schon Fußball gespielt, als England noch christianisiert werden musste, von wegen, der Fußball kommt heim, das ist doch pure Geschichtsklitterung.
Italien – das wahre Mutterland des Fußballs
Mit Italien hat das beste Team des Turniers gewonnen, nun, vielleicht nicht das beste in allen Bereichen, aber das beste, wenn man die Gesamtleistung betrachtet. England bleiben ein paar Tränen und vielleicht danach ein bisschen Scham, nicht nur über die fußballerische Leistung, bei der das Team weit hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben ist. Vielleicht sollten die Spieler mal an Messi denken, der etwa 20 Stunden vor dem europäischen Finale seinen ersten Titel mit Argentinien gewonnen hat. Im Finale war Messi nicht der große Star, der Held, sondern einfach nur einer von elf Spielern auf dem Platz, der seinen Anteil am Großen und Ganzen beigetragenn hat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. So, Schluss mit der Corona-EM, dem absurden Turnier EM 2020 im Jahre 2021, der EM ohne Gastgeberland, aber mit England, das fast nur Heimspiele hatte, einer zynischen Politik von Johnson und Orban, die bedenklos die Stadien gefüllt haben, Spielen in Baku am Rande des Wahnsinns, einer EM, die sportlich um Längen besser war als das aufgeblähte Turnier vor fünf Jahren, England hat das Finale verdient verloren – aber hat es ins Finale geschafft. Meine Prognose: In den nächsten drei Jahren ist die Mannschaft für einen großen Titel reif, es sei denn, der Trainer macht den Löw (in seiner Spätzeit). Schluss, Vorhang, es hat Spaß gemacht, auf Wiedersehen.