Gegen 18 Uhr versammelten sich heute auf dem Wenzelsplatz Tausende Prager um an die Selbstverbrennung des 1948 in Mělník geborenen Studenten Jan Palach zu erinnern. 5 Monate nach dem Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen und der Niederschlagung des Prager Frühlings wollte der Student der Philosophischen Fakultät der Prager Karls Universität ein Zeichen setzen und die Öffentlichkeit aufrütteln.
Foto: K. Kountouroyanis
Zwischen 15 und 16 Uhr legte Jan Palach am 16. Januar 1969 seinen Mantel und seine Tasche, in der sich Abschriften von Briefen an Verwandte und Kommilitonen befand, am Brunnen vor dem Nationalmuseum in Prag ab, übergoss sich mit Benzin und steckte sich mit einem Streichholz selbst an. Der augenblicklich lichterloh in Flammen stehende Student rannte den Wenzelsplatz einige Schritte hinab, wo ein Bediensteter der Prager Verkehrsbetriebe seinen Mantel über ihn warf und auch nach dem Eintreffen der Rettungskräfte bei ihm blieb. Ihm erklärte Palach, dass er sich selbst angezündet habe. Auch sein Abschiedsbrief, der offiziell nicht veröffentlicht wurde bezeugt den Grund für seine Aktion.
„Da unser Land davor steht, der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, haben wir uns dazu entschlossen, unserem Protest auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, um die Menschen aufzurütteln. Unsere Gruppe ist aus Freiwilligen gebildet, die dazu bereit sind, sich für unser Anliegen selbst zu verbrennen. Die Ehre, das erste Los zu ziehen, ist mir zugefallen, damit erwarb ich das Recht, den ersten Brief zu schreiben und die erste Fackel zu entzünden.“
Am 19. Januar 1969 erlag Jan Palach in einem Prager Krankenhaus seinen Verletzungen. Für die Prager stand fest, dass die Selbstverbrennung eine Aktion gegen die sowjetische Besatzung und Niederschlagung des Prager Frühlings war. Noch am Nachmittag des Todestages versammelten sich schätzungsweise 200.000 Menschen auf dem Wenzelsplatz und legten Kränze nieder, während kurze Zeit später sich die Menge zum Platz vor der Philosophischen Fakultät am Moldauufer begab, der seiner Zeit noch „Platz der Roten Armee“ hieß, um durch das Auswechseln der Schilder den Platz in „Jan-Palach-Platz“ umzubenennen. Von der offiziellen kommunistischen Führung wurde diese Aktion sofort rückgängig gemacht.
Auch 50 Jahre später. Tausende gedenken Jan Palach.
Foto: K. Kountouroyanis
In den offiziellen Nachrichten und in einer Erklärung des ZK der KPČ wurde die Selbstverbrennung als Tat eines „psychisch Kranken“ umgedeutet. Doch Jan Palach soll bis zum letzten Atemzug klar bei Verstand gewesen sein und diktierte seinem Mitstudenten Lubomír Holeček für das Radio folgende Worte:
„Meine Tat hat ihren Sinn erfüllt. Aber niemand sollte sie wiederholen. Die Studenten sollten ihr Leben schonen, damit sie ihr ganzes Leben lang unsere Ziele erfüllen können, damit sie lebendig zum Kampfe beitragen. Ich sage euch ‚Auf Wiedersehen‘. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder.“
Mit dem Ende der 60er Jahre setzte in Tschechien die Zeit der sog. „Normalisierung“ ein. Erst 20 Jahre nach Palachs tragischem Tod konnten sich die Tschechen aus der eisernen Umklammerung des Kommunismus im Zuge der „Sanften Revolution“ befreien. Seitdem heißt der Platz zwischen Rudolfinum und der Philosophischen Fakultät offiziell Jan-Palach-Platz.
Am heutigen Abend kamen schätzungsweise 8000 bis 10.000 Menschen auf dem Wenzelsplatz und nach Aussage der Veranstalter weitere Tausende in 101 tschechischen Gemeinden zusammen. Zu der Versammlung hat das Netzwerk „Milion chvilek pro demokracii“ aufgerufen, das bereits im letzten Jahr auch zu mehreren Demonstrationen gegen den tschechischen Premierminister Andrej Babiš aufrief. Im Vorfeld behaupteten daher verschiedene Nutzer in den sozialen Netzwerken, dass die Versammlung auch in eine Demonstration gegen Babiš umschlagen könnte. Doch dies war nicht der Fall. Die Versammlung stand ganz im Zeichen des Gedenkens an Jan Palach. Neben verschiedenen Gedenkreden, die über eine Videoleinwand an die Menge und auch über das tschechische Fernsehen übertragen wurden, wurden zahlreiche Kerzen an Palachs Denkmal und dem seines Nachfolgers Jan Zajíc, der sich nur einen Monat später, nämlich am 25. Februar 1969 in einem Gebäude am Prager Wenzelsplatz als „Fackel Nr. 2“ selbst verbrannte, niedergestellt. Weitere Kerzen wurden an die Teilnehmer der Versammlung verteilt, die während der öffentlichen Vorführung des Dokumentarfilms „Ticho“ („Stille“) mit dem gleichnamigen Lied des 1948 in Prag geborenen Sängers Bohdan Mikolášek entzündet wurden. Danach verließ die Menge gegen ca. 19:15 Uhr den Wenzelsplatz schweigend.
Foto: K. Kountouroyanis
Die Befürchtung, dass die Versammlung zu einer Anti-Babiš Veranstaltung umgedeutet werden könnte, war nicht ganz unberechtigt. Die Kerzen, die den Teilnehmern kostenlos überreicht wurden, enthielten einen besonderen Wachstropfenfänger. Es war ein Aufruf, eine Petition zur Rücktrittsforderung Andrej Babiš´ zu unterzeichnen.
Prag, 16.01.2019
Konstantin John Kowalewski