Am 5. und 6. Oktober 2018 sind Kommunal- und Senatswahlen in Tschechien. Schaut man sich die Parteienlandschaft in Prag, Böhmen und Mähren an, so bleibt wenig Anlass zum Optimismus. Stärkste Partei in Tschechien ist derzeit die Politické hnutí ANO 2011 (Politische Bewegung ANO 2011) dessen Parteivorsitzender der häufig kritisierte Agrochemie-Unternehmer und Medienmogol Andrej Babiš ist. Auf Platz 2 steht die ODS, Občanská demokratická strana (Demokratische Bürgerpartei), deren früherer Vorsitzender der ehemalige Präsident und Regierungschef Václav Klaus war und heute in Deutschland bei der AfD Vorträge hält. Auf Platz 3 tut sich allerdings ein interessanter Lichtblick auf. Die Česká pirátská strana (Die Piratenpartei Tschechiens) stellt zurzeit die drittstärkste Kraft im Parlament dar. (Prag Aktuell berichtete) Damit ist die Situation in der tschechischen Parteienlandschaft eine ganz andere als in Deutschland.
Die tschechischen Grünen bei Wikipedia
EU-Ausländer schauen in Tschechien mit Sorge auf die Wahl, fürchten sie doch ein Erstarken rechtspopulistischer Parteien. Allerdings können sie, sofern sie einen festen Wohnsitz, eine sog. Permanent Residence haben, auch selber wählen und somit einen demokratischen Einfluss auf die Verhältnisse in diesem Land ausüben. Voraussetzung ist die Aufenthaltsdauer in Tschechien. Nach 5 Jahren kann man einen entsprechenden Antrag stellen und das aktive Wahlrecht erwerben.
Wir wollten aus diesem Grund wissen, welche alternativen Parteien es sonst noch in Tschechien gibt und haben mit Petr Píša, dem Vorsitzenden der Strana zelených (Partei der Grünen) im Gemeinderat von Prag 6 und Kandidat für das Bürgermeisteramt in Prag 6, gesprochen. Der Dreiunddreißigjährige ist außerdem Mitglied der Kommission für Wohnungs- und Immobilienpolitik. Die Grünen stellen derzeit die viertstärkste Partei in Prag 6 dar.
Helfer verteilen die Grünen-Zeitung und "Grünen-Tee" an der Haltestelle Hradčanská. Foto: K. Kountouroyanis
Petr Píša studierte Geschichte und Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität Prag. Er absolvierte Auslandsaufenthalte an den Universitäten in Jena, Heidelberg, Wien und Leipzig. 2018 schloss er sein Doktorandenstudium in tschechischer Geschichte ab. Seit 2010 arbeitet er am Institut für tschechische Literatur der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, spezialisierte sich auf Literatursoziologie im 19. Jahrhundert, insbesondere in der Geschichte der Literaturzensur. Er ist Mitautor der zweibändigen Publikationen V obecném zájmu. Cenzura a sociální regulace literatury v moderní české kultuře, 1749 – 2015 [„Interesse der Allgemeinheit. Zensur und soziale Regulierung der Literatur in der modernen tschechischen Kultur, 1749 – 2015] (Prag 2015) und erhielt mehrere renommierte Auszeichnungen, Mitherausgeber des Buches Nebezpečná literatura? Antologie z myšlení o literární cenzuře [„Gefährliche Literatur? Anthologie des Literaturzensurdenkens] (Brno 2012) und die Korrespondenzausgabe von Karel Havlíček (2016).
Foto: Petr Píša/Strana zelených
In einem Café, unweit der Haltstelle Hradčanská, an dem sich zur Zeit der Stand der Grünen befindet, fanden wir die Gelegenheit mit ihm eine Woche vor den Wahlen bei einem Kaffee zu reden.
KK: In Europa weitet sich der Populismus aus. In Deutschland, das hat man jüngst in Chemnitz gesehen, ist die Gesellschaft gespalten. Es wird immer schwieriger mit einander überhaupt noch ins Gespräch zu kommen. Wie sehen Sie die Situation diesbezüglich in Tschechien?
Petr Píša: Ich bemerke in Tschechien, dass es Parteien gibt, die andere demokratisch legitimierte Parteien auszugrenzen versuchen. Auch wir als demokratisch legitimierte Partei Die Grünen, werden mit der Floskel vom angeblichen „Politischen Gerede“ ausgegrenzt. Doch man muss sprechen, man muss in Kontakt bleiben.
KK: In Deutschland ist jüngst das Projekt „Deutschland spricht“ angelaufen: Könnten Sie sich vorstellen, dass so etwas in Tschechien auch möglich wäre und dass es von allen politischen Lagern als Diskussionsplattform wahrgenommen wird?
Petr Píša: Das wäre sehr toll. Das einzige Problem ist, dass in Deutschland das Projekt vom Bundespräsidenten ins Leben gerufen wurde, soweit ich weiß. [Anm. der Redaktion: Bundespräsident Steinmeier ist Schirmherr von „Deutschland spricht“.] Ich kann mir schwer die Unterstützung des tschechischen Präsidenten für solch ein Projekt vorstellen. Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben.
KK: Sie stehen jetzt für die Kommunalwahl an. Mit welcher Zielsetzung treten Die Grünen in Tschechien an?
Petr Píša: Wir sind die viertstärkste Partei in Prag 6 und das möchten wir entweder bleiben oder natürlich auch gerne verbessern. Seit 2015 sind wir auch ein Teil der Opposition. Und wir möchten gerne auch ein Teil der Koalition werden, um einen Einfluss auszuüben.
KK: In Deutschland haben die Grünen eine lange Tradition als Partei, die aus der Anti AKW-Bewegung hervorgegangen ist. Aus welcher Tradition geht die Grünen-Bewegung in Tschechien hervor?
Petr Píša: Die Grünen-Bewegung in Tschechien ist etwa 30 Jahre alt. Am Anfang stand die Anti-Braunkohle-Bewegung. Das war der Hauptgrund der Umweltprobleme in der alten ČSSR, vor allem in Nordböhmen. Diese Umweltbewegung der 80er Jahre stellt den Korpus der heutigen Grünen dar. Die Strana zelených, also die tschechischen Grünen, wurden 1989 gegründet. Damit sind wir eine der ältesten postkommunistischen Parteien Tschechiens. Wir sind zwar einerseits eine Protestpartei geblieben, aber andererseits auch eine der Parteien mit einer langen Tradition.
KK: Sie sind auch für das Amt des Bürgermeisters angetreten. Wenn Sie gewählt werden, was würden Sie verändern wollen?
Petr Píša: Ich bin Bürgermeisterkandidat für Prag 6, das etwa 100.000 Einwohner hat und zu den grünsten Regionen in Prag gehört. Das ist nicht nur politisch gemeint, sondern auch bezogen auf die ausgedehnten Parks, Gärten und Grünflächen. Ich möchte, dass das so bleibt. Aber die Grünen stehen nicht nur für Umweltarbeit, sondern auch für die Zusammenarbeit zwischen den Politikern, Ämtern und Bürgern. Das heißt, dass man ständig in Kontakt mit den Anliegern stehen und mit ihnen kommunizieren muss. Das heißt, dass man sich seine Projektvorschläge auch von der Öffentlichkeit kritisieren und ggf. korrigieren lassen muss. Das ist nicht immer selbstverständlich. Die politische Kultur steht in Tschechien in der Tradition von Vaclav Klaus, der sehr stark gegen die bürgerliche Gesellschaft gesinnt war. Seiner Ansicht nach sollte der Wähler alle 4 Jahre seine Stimme abgeben, aber sonst kein Mitspracherecht haben dürfen, außer, dass er nach weiteren 4 Jahren bei der nächsten Wahl anders wählen kann als zuvor, wenn ihm etwas nicht passt. Das halte ich für sehr schlecht. Ich denke, dass man mit den Bürgern aktiv, basisdemokratisch kommunizieren muss. So fühlt sich jeder einbezogen. Was mir gefällt ist, wenn sich zwei gegensätzliche Gruppen einigen können, z. B. bei der Frage, ob es an der Straße mehr Parkplätze oder mehr Bäume geben soll. Natürlich gibt es da unterschiedliche Interessen und ich wäre auch eher für die Bäume, aber ich bin auch dafür, dass sich unterschiedliche Lager an einem Tisch einigen können. Das halte ich für wichtig.
KK: Tschechien nimmt in Europa eine besondere Rolle im Bereich der Atomenergie ein. Wie könnte man die Atompolitik Tschechiens in den nächsten, sagen wir einmal, 20 – 30 Jahren ändern oder wie sollte sie sich ändern, insbesondere beim Umstieg von Atomenergie auf erneuerbare Energien?
Petr Píša: Man muss vor allem wissen, dass es wahnsinnig teuer wird, neue Atomkraftwerke zu bauen bzw. die alten Kraftwerke instand zu halten. Das ist einfach ein wirtschaftlicher Unsinn, aber es sollen weitere AKWs, wie das in Temelin, gebaut werden.
KK: Haben die Tschechen keine Angst vor einem Tschernobyl oder Fukushima auf tschechischem Boden? Wenn es dazu kommen sollte, würde doch in so einem kleinen Land wie Tschechien die Einrichtung einer sog. Todes- bzw. Sperrzone fast das ganze Land betreffen.
Petr Píša: Das ist wohl ein großer Unterschied zwischen Deutschland und Tschechien. Die Angst vor Atomkraftwerken ist in Tschechien nicht so ausgeprägt wie in Deutschland. Als Alternative zur Atomkraft stünde für Tschechen die Braunkohle und die wäre ihrer Ansicht nach ökologisch das größere Übel im Gegensatz zur Atomenergie – solange man davon ausgeht, dass es nicht zu einem Super-GAU kommt. Das ist der Grund, warum die Tschechen der Atomenergie den Vorzug geben. Wenn man sich die Energie- und Umweltbilanz aber ansieht, dann gewinnt die Atomkraft im Grunde. Würde man aber die Frage anders in Bezug auf erneuerbare Energiequellen stellen, dann sähe die Situation auch hier sicherlich anders aus. Aber die Hauptfrage, die sich die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung stellt ist, was würde die Abschaltung der AKWs bedeuten und dann fürchten sich die Menschen eher vor den Umweltschäden der Braunkohle.
KK: Petr Píša, ich könnte noch sehr lange mit Ihnen reden. Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Prag, 28.09.2018
Konstantin John Kowalewski
Hinweis zu den Öffnungszeiten der Wahllokale:
5. Oktober: 14:00 Uhr – 22:00 Uhr
6. Oktober: 08:00 Uhr – 14:00 Uhr
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