Wie dem werten Leser bisher vermutlich verborgen geblieben ist, komme ich ja aus Bayern, also genauer gesagt fast genau aus München. Und für was ist München in der ganzen Welt bekannt? Genau, für das Oktoberfest. Als ich dann vor kurzem mitbekommen habe, dass hier in Prag ein Bierfest stattfindet, welches sich rühmt, das Oktoberfest Tschechiens zu sein, musste ich natürlich hin, um das zu überprüfen. Nicht, dass ich ein Wiesnprofi wäre, aber so ein Vergleich ist doch ganz schön gewagt, fand ich. Eigentlich wollte ich mich dann auch gleich in der ersten Woche auf nach Letňany machen. Doch wie das im Leben und mit Plänen so ist, kommt es erstens immer anders und zweitens als man denkt. Letztlich hab ich es dann erst am vorletzten Tag geschafft, mich auf das Oktoberfest Prags zu begeben, und das ganz ohne Dirndl.
Es war kurz nach acht. Wie immer waren wir spät dran. Und wie immer war das die Schuld von unserer Fotoschnecke. Die war nämlich auf einem Picknick im Petřín und musste dort, wie immer, alles fotografieren.
Endlich kamen wir in Letňany an. Schon von weitem sahen wir die Fahrgeschäfte leuchten und todesmutige Fahrgäste wild durch die Luft wirbeln. Das erinnerte uns stark an unseren Ausflug zur Matějská pouť vor ein paar Wochen und rief bei mir das Nahtoderlebnis auf einer dieser Höllenmaschinen wieder in Erinnerung. Buh- schüttelte ich mich, nie mehr wieder.
Kaum waren wir nun auf dem Gelände angekommen, stellte ich schon mal den ersten Unterschied zum Oktoberfest fest. Viel weniger Leute! Um genau zu sein, auch viel weniger absolut betrunkene Leute. Schön, muss ich heute Abend also nicht die ganze Zeit aufpassen, dass mir keiner auf die Schuhe reihert, stellte ich erfreut fest.
Langsam schlenderten wir über das Areal und begutachteten die Zelte. Schließlich wollen wir ja die teuer erstandenen Biertoler, das Zahlungsmittel fürs Bierfest, nicht im falschen Zelt und damit nicht für das beste Bier ausgeben. Da bemerkte ich auch schon den nächsten Unterschied. In München sagt man mit der Wahl des Zeltes ja viel über sich aus. Ins Löwenbräu gehen nur die Weicheier, die kein echtes Bier vertragen. Das Hofbräuzelt ist für die mittelalte Mittelklasse mit Ansatz zum dicken Bierbauch und der Tendenz junge Mädchen, falls sich diese in das Zelt verirren, im Suff auf ganz schmierige Art anzumachen. Der Ochsenbrater ist was für die Hippen. Aber hier scheint es total egal zu sein, in welches der Zelte man sich setzt. Das Publikum ist überall bunt durchmischt. Von jung bis mittelalt, von hipp bis uncool - alles dabei.
Da wir uns also nicht als cool oder uncool outen konnten, machten wir die Wahl vom Bier abhängig. Nach ausgiebiger Beratung machten wir es uns dann mal in Zelt No. 2 gemütlich. Nach weiterer ausgiebiger Beratschlagung hatte sich dann auch jeder ein Bier auf der endlos langen Liste, die uns so gut wie gar nichts sagte, ausgesucht und wir bestellten. Dumm, dass wir keinen Bierexperten unter uns hatten. Warum sind die aber auch nie da, wenn man sie mal braucht. Naja, so mussten wir eben durch Probieren herausfinden, wie ungefiltertes Bier schmeckt und was eigentlich Granat genau ist. Nach etlichen Bier und einem eher weniger guten Gulasch zogen wir Zwischenbilanz: ungefiltertes Bier ist lecker und die Bedienung mit den Zöpfen die süßeste. Da noch ganz viel probierenswertes Bier und auch bestimmt viele süße Kellerinnen in den anderen Zelten auf uns warteten, zogen wir weiter.
Vorbei an einem Spanferkel auf dem Grill, dass mich mit seinen toten Augen vorwurfsvoll ansah, an Zuckerwatteständen und Verkaufstellen für Sülze, landeten wir schließlich im Zelt No. 1. Wieso, fragt sich der werte Leser? Weil sich die Fotoschnecke gerade im leicht angetrunken Zustand doch auf eine dieser Höllenmaschinen begeben wollte und ich sie nur davon abhalten konnte, indem ich ihr ein Bier in die Hand drückte, und Zelt No. 1 war da das nächste.
Da der Abend nun schon weiter fortgeschritten war und der Alkoholpegel dementsprechend hoch, fingen die Leute zu Tanzen an. Und das zu einer Mischung aus internationalen Schlagern. Tschechische Lieder hörte ich an dem Abend kein einziges. Dafür unzählige Male „Alice, who the f**k is Alice” und weitere Klassiker dieser Art. Hier stellte ich dann die erste Gemeinsamkeit zum Oktoberfest fest: Wenn die Menschen betrunken sind, verlieren sie stark an Niveau. Sehr zu meiner Freunde hatte sich mittlerweile eine ganze Horde mehr oder weniger liebgewonnener Mitstudenten auch im Zelt No. 1 eingefunden und wir waren nun eine große und teilweise auch nicht mehr ganz nüchtere Truppe.
Zum Glück für manche begann nun aber die Sperrstunde und die süßen Bedienungen in ihren imaginären Trachten in rot, blau und grün machten uns darauf aufmerksam, dass wir so in 20 Minuten doch bitte das letzte Bier geleert und uns aus dem Zelt bewegt haben sollten.
Eigentlich hatte ich mir ja geschworen, dass es nicht soweit kommen würde und ich nicht die Letzte sein werde. Doch natürlich war ich die Letzte, weil mein Mutterinstinkt mich mal wieder auf die letzten besoffenen Haserl warten ließ. So verpassten wir trotz eines Sprintes zur Metro dieselbige. Da standen wir nun am Ende von Prag um Mitternacht. Der bald danach kommende Bus warf uns anstelle von Holešovice, wie auf dem Fahrplan angekündigt, in Střížkov raus. Hier warteten wir dann eine halbe Ewigkeit, bis der nächste Bus kam und uns zu Námĕstí republiky brachte. Von dort aus macht sich der Studententrupp dann noch in irgendeine abgeranzte Kneipe auf. Ich verabschiedete mich lieber an Ort und Stelle und schlug mich zur Malostranská durch, wo mir die Nachttram vor der Nase Wegfuhr. So wanderte ich dann weiter durch das nächtliche Prag nach Hause.
Letztlich muss ich leider festhalten, dass das Bierfest dem Oktoberfest nicht das Wasser reichen kann. Aber was wäre das Oktoberfest, wenn es das so leicht ginge. Doch das Bierfest hat auch etliche Vorzüge: Kleiner und damit auch für Klaustrophobiker geeignet, der Bierpreis ist halbwegs angemessen und die Kellnerinnen sind viel süßer als in München. Alles in allem also eine gute Sache und einen Besuch wert.