Nun hat sich ja mein Mitbewohner schon des Öfteren beschwert, dass ich seiner Meinung nach zu viel sex, drugs and rock ‘n’ roll, wie er meine Ausflüge in die das Nachtleben immer nennt, betreibe, und viel zu wenig von der wunderbaren Kultur in Prag mitbekomme. Und ich muss gestehen, als ich mal ein bisschen darüber nachdachte, kam ich auf den Gedanken, dass ich mich neben etlichen Rock- und Metalkonzerten in diversen mehr oder weniger dunklen Kellern doch mal der hochgeistigen Kultur widmen sollte.
Kurzerhand hab ich dann beschlossen, mir doch mal wieder eine Oper anzusehen. Was wäre da in Prag besser als Don Giovanni? Schließlich wurde das Stück hier ja uraufgeführt. Noch schnell eine Kommilitonin überredet, mitzukommen und auch ganz ohne Rabatt mit der ISCI-Karte eine billige Karte für 250 Kronen erstanden, zugegebenermaßen gaaaanz oben im Stavovské divadlo, und schon ging es auch los. Oder besser schon stand ich mal wieder wartend rum. Es ist ja hier inzwischen zu einer meiner Gewohnheiten geworden, immer auf meine Begleitung zu warten, egal zu welcher Tages- und Nachtzeit und egal zu welchem Anlass. Und so stand ich auch dieses Mal auf meinen doch weniger bequemen 10 cm Highheels vor dem Theater rum, bis meine Begleitung dann endlich um die Ecke gelaufen kam. Dabei hatte ich ihr doch extra eingebläut, pünktlich zu sein, eben weil wir zu unseren Plätzen unter das Dach klettern mussten, und ich doch mit den Schuhen nicht so schnell zu Fuß war. Aber glücklicherweise schafften wir es auch mit einer Toilettenpause noch pünktlich, die Jacken abzugeben und uns in der Mitte der allerletzten Reihe niederzulassen.
Sehr zu meiner Freude kann man von diesem Plätzen aus, wenn man sich etwas nach vorne lehnt, auch wirklich die ganze Bühne überblicken. Gut, den Orchestergraben sieht man nicht, aber Musik ist ja zum Hören und nicht zum Anschauen, meinte meine Begleitung. Während ich mich ein bisschen umsah und das herrliche Interieur des Ständetheaters genoss, fiel mir auf, dass, sehr zu meinem Erstaunen, rund um uns rum so gut wie keine Tschechen saßen. An und für sich eigentlich eine schöne Sache, dachte ich mir. Mozart vereint alle Nationen. Ich freute mich über diese interkulturelle Verständigung.
Doch da irrte ich mich gewaltig, wie sich herausstellen sollte. Noch vor Beginn von Don Giovanni fragte mich eine junge Italienerin neben mir, ob ich denn wüsste wie lange das Stück gehen würde. Meine Antwort vom 2,5 Stunden plus Pause löste dann schon mal eine wilde Diskussion über zwei Sitzreihen aus, woraufhin ein junger Mann, eine Reihe vor mir, das Theater schon vor Beginn der Vorstellung verließ.
Etwas irritiert von dieser Szene machten wir es uns jetzt aber erst einmal in einer 30 Grad nach vorn gebeugten und sich auf dem Geländer abstützenden Position bequem. Schon ertönte auch das Klingeln, das Licht ging aus und das Stück fing an. Keine zehn Minuten nachdem Leporello dann auf die Bühne gekommen war, gab es im Publikum erneut einige Unstimmigkeiten. Das japanische Pärchen vor mir begann sich um das Fernglas zu streiten. Und nein, ich drücke mich hier nicht ungewählt aus, es handelte sich nämlich wirklich um ein Fernglas! Kaum hatte der Mann es zur Hand genommen und ca. 2,5 Sekunden auf die Bühne gesehen, riss seine Frau ihm das Ding wüst aus der Hand, nur um es nachdem sie ca. 5 Sekunden durchgeblickt hatte, auf ihrem Schoss zu lagern und es nicht zur Hand zu nehmen. Doch wehe, der Mann holte es sich zurück, dann entwickelte sie plötzlich wieder großes Interesse daran. So verbrachten die beiden den Großteil der Oper, wenn sie nicht gerade selig aneinander gelehnt schliefen. Sehr zu meiner Freude wenigstens ohne zu Schnarchen.
Doch nicht nur Japaner schienen von der Musik und dem Gesang, der im Übrigen ausgezeichnet war, weniger verzaubert zu sein als wir. In der Pause wurden wir Zeuge der nächsten Missstimmung. Plötzlich begann sich ein älterer Mann in mehr oder weniger gebrochenem Englisch bei der Platzanweiserin darüber zu beschweren, dass der Jungspund vor ihm sich die ganze erste Hälfte der Oper hindurch mit meiner Freundin unterhalten habe. Doch nicht nur diese Lärmbelästigung sei unentschuldbar. Nach dazu habe er sich dabei auch zu der Dame hinübergebeugt, sodass ihm auch noch die komplette Sicht auf die Bühne, die von seinem Platz aus eh schon unglaublich schlecht gewesen sei, versperrt war.
Während sich die arme Platzanweiserin das Gejammer anhörte und mühsam versuchte, sich auf Englisch auszudrücken, vernahmen wir plötzlich eine empörte Stimme. Wie sich herausstellte, gehörte sie jenem geschwätzigen Tropf, der alle Schuld von sich wies und lauthals rief, der alte Mann habe angefangen und ihn in die Schulter geschlagen. Der ältere Mann verteidigte sich, das wäre kein Schlag gewesen, er habe ihn lediglich angetippt. Die Diskussion ging dann noch ein Weilchen weiter, der Jammerer laberte beständig auf die Platzanweiserin ein, bis diese schließlich einwilligte und er einen neuen Platz bekam. Während er sich zu diesem, auf der anderen Seite des Balkons, bewegte, hatte er das dringende Bedürfnis jedem, dem er unterwegs begegnete sein Leid zu klagen und in weithin vernehmbarer Lautstärke mit ausgestreckten Finger den jungen Mann zu diskreditieren. Dieser konnte daraufhin von seinen Freunden gerade noch davon abgehalten werden, auf den Jammerer loszugehen.
Nachdem sich dann hier die Gemüter beruhigt hatten, und es so langsam wieder Zeit wurde, seinen Platz einzunehmen, kamen ein Paar Spanierinnen, die mit Selbigem wohl unzufrieden waren, auf die Idee sich einfach umzusetzen. Dummerweise, muss man sagen, haben sie sich jedoch vorher nicht eingeprägt welche Plätze frei waren, sodass es nach Eintreffen der rechtmäßigen Platzeigentümer auch hier zu einer kleinen Diskussion kam. Den nächsten Eklat lösten dann auch wieder Spanier aus, die von sich noch ein Erinnerungsfoto mit Blitz machten, nachdem das Licht schon wieder aus war. Das ältere Ehepaar daneben fand das gar nicht lustig, seien sie doch nun für Minuten halbblind und könnten dem Geschehen auf der Bühne nicht folgen.
Zu guter Letzt leisteten wir uns dann auch noch einen Fauxpas, als wir uns das letzte Stück mitgebrachte Schokolade in dem Mund schoben und dabei mit dem Papier raschelten. Fand ich die Szenen zuvor schon hart an der Grenze zwischen lustig und grotesk, so war ich mir nach dem Rüffler wegen der Schokolade ganz sicher. Mozart vereint wohl doch nicht die Nationen und interkulturelles Verständnis gab es schon gar nicht. Möglichst still nahm ich wieder meine nach vorne gebeugte Haltung ein und werde in Zukunft vielleicht doch lieber wieder in dunkle Keller gehen. Da ist zwar die Kultur nicht ganz so hoch, aber dafür die Stimmung entspannter. Auch wenn ich zugeben muss, dass mir die Oper wirklich sehr gut gefallen hat.