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| | Reise | 3.8.2008

Bergbau, Plattenbau, Partystraße – mit einem Wort: Ostrava

Ostrava – wem der Name etwas sagt, der verbindet ihn vermutlich mit einer grau-braunen Stadt, die irgendwo im Osten der Tschechischen Republik liegt und außer der Partystraße Stodolní nicht viel zu bieten hat. Ich habe dort ein halbes Jahr gelebt und die Zeit sehr genossen, auch wenn Winter war und die mährische Stadt tatsächlich auf den ersten Blick trist bis trostlos und vornehmlich des Nachts bevölkert zu sein scheint. Jetzt haben mich die alten Erinnerungen gepackt und ich bin nach vier Jahren zum ersten Mal wieder hingefahren, um den Ort mit frischem Blick zu sehen.

Als ich in die Stadt eingefahren bin, war das erste Gefühl sehr stark von Erinnerungen an alte Orte und Ereignisse geprägt: Ach ja, hier warst du mal mit dem und dem… Oder: Stimmt, da hast du das und das erlebt… Der zweite Gedanke war, trotz des Sonnenscheins und vielen Frühlingsgrüns: Oh je, sah das hier früher auch schon so aus? Ein 50er Jahre Bau nach dem anderen, die sozialistischen Architekten haben sich in ihrem immer gleichen Stil ausgetobt, so weit es ihnen möglich war, ohne gegen die Regeln der Hässlichkeit zu verstoßen.

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Grau in Grau, vielleicht durchbrochen von einem helleren Grau, ganz selten ein vorwitziges Pastelltönchen, das sich zwischen die Monotonie der Straßen geschlichen hat. Ja, dachte ich, das sah hier früher auch schon so aus, aber es hat mich nicht gestört. Warum? Wahrscheinlich, weil ich dort gelebt habe, zwischen den grauen Häusern, und Menschen kennen gelernt habe, die alles andere als grau und trist sind. Irgendwo muss also ein gewisser Charme zu finden sein. Doch wo genau kommt der her?

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In Ostravas Mitte gibt es einen Marktplatz, der von den ältesten Häusern der Stadt gesäumt ist. Die mittelalterlichen Gebäude zeugen von der Zeit der ersten Siedler, die im 13. Jahrhundert an der Ostravice lebten. Bis ins 18. Jahrhundert hinein blieb der Ort allerdings bedeutungslos, bis 1763 die erste Steinkohle gefördert wurde. Nach und nach entwickelte sich die wachsende Stadt zu einem Zentrum für Kohle- und Stahlindustrie, das auch die Architektur und den Aufbau der Stadt stark geprägt hat: Mitten im Kern finden sich alte Bergwerke, die in die Stadt eingegliedert sind. Nachhaltig gezeichnet wurde das Stadtbild schließlich von den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg, in jener Zeit entstanden die hübschen grauen Häuser, die – ihren Wohnzweck erfüllend – auf visuelle Depressionen hinzielen.

Was also ist es, wenn es nicht der Marktplatz ist oder die erst befremdlichen und dann spannenden Bergwerke in der Mitte der Stadt? Da gibt es noch die Stodolní, in der gesamten Republik bekannt als Partystraße, Singlebörse und Abschleppparadies. An jeder Ecke ein Café, eine Bar ein Club, überall wird getrunken, getanzt, geflirtet was das Zeug hält. Für so ziemlich jeden Musikgeschmack findet sich der richtige Ort: Wer es ruhiger haben möchte, der bleibt sitzen oder spielt Tischfußball, wer sich bewegen möchte, der tanzt auf den Tischen. Wortwörtlich. Bloß Vorsicht, denn manche liegen schon darunter!

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So gerne, wie ich vor vier Jahren noch hier war, so abschreckend hat diese Straße jetzt auf mich gewirkt. Natürlich gibt es schöne Bars, aber der Großteil wird von knapp bekleideten, schlanken und stark geschminkten Superblondinen bevölkert, die als notwendige Konsequenz Solarium gebräunte und Fitnessstudio aufgepumpte Goldkettchenträger anziehen. Es geht darum, so schnell wie möglich so viel wie möglich zu trinken und dann möglichst nicht allein nach Hause zu torkeln. Vielleicht bin ich ungerecht, vielleicht bin ich auch einfach nur älter geworden und habe den Anschluss an das heutige Nachtleben verpasst.

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Die Frage nach dem Charme muss wohl jeder für sich beantworten. Es gibt durchaus schöne Ecken in Ostrava, viele Parks, ein paar alte Gebäude. Die Stadt auf die Stodolní und ihre grauen Häuser zu reduzieren ist jedenfalls ungerecht. Dennoch habe ich mich gefreut, als ich wieder in Prag ankam und erleichtert aufatmend dachte: Ach, ist das schön hier!

Externer Link: www.ostrava.czwww.ostrava.cz
Bildnachweis:
Georgina
Ostrava
Stodolní
702 00
Ostrava
Mährisch-Schlesien (Moravskoslezský kraj)
Tschechische Republik

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