Prag - Auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung der angestammten deutschen Bevölkerung aus der damaligen Tschechoslowakei, ist das Thema "odsun" (Abschiebung) in Tschechien virulent und durchaus geeignet, Emotionen hervorzurufen.
Die gestrige Erklärung der Stadt Brünn, in der die Stadtverordnetenversammlung mehrheitlich ihr "Bedauern" über den Brünner Todesmarsch und die Vertreibung der Deutschen ausdrückt, sowie vor allem die teils verständnislosen teils wütenden Reaktionen darauf, sind ein anschaulicher Beleg dafür.
Doch auch mit Mitteln der Demoskopie ist das zu belegen. Ein heute in der Online-Ausgabe der Tageszeitung Mladá fronta Dnes erschienener Artikel fasst die Ergebnisse einer neuen Umfrage der Meinungsforschungsagentur NMS Market Research und der Sammlung Paměť národ (Erinnerung der Nation) zusammen.
Die Mehrheit der Tschechen hält demnach die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat für "unumgänglich" (70 %) und sogar "gerecht" (61 %), verurteilt aber die Gewaltakte (78 %), zu denen es während der Abschiebung gekommen ist.
Die überwiegende Mehrheit der Befragten ist der Meinung, man könne die Vertreibung nicht als "Völkermord" bezeichnen (80 %).
In Bezug auf mögliche Eigentumsansprüche der noch lebenden Vertriebenen hält die Mehrheit es sei nicht nötig, den einstigen tschechoslowakischen Staatsbürgern das enteignete Eigentum zurückzugeben. Gleichzeitig glauben 70 Prozent, dass die Sudetendeutschen ihr Eigentum zurückzuerhalten versuchen, und das auch in Zukunft weiter tun würden. Ausdrücklich als "Bedrohung" empfindet noch jeder fünfte die Vertriebenen.
Unterschiede in den Einstellungen zur Vertreibung zeigten sich weniger regional (Sudetengebiete - tschechisches Kernland) als abhängig von Alter, Geschlecht, Bildung und der Größe des Wohnortes der Befragten.
An der Umfrage im Internet nahmen 3000 Erwachsene Tschechen teil, die in Bezug auf Geschlecht, Alter, Region und Größe des Wohnorts repräsentativ für die ganze Tschechische Republik waren. (nk)