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prag aktuellprag aktuell | Rubrik: Kultur, Theater, Oper, Tanz | 7.12.2016
"Und dann kam Mirna" im Rahmen des Theaterfestivals deutscher Sprache / Von Gerd Lemke

Prag - Vier Frauen Mitte Dreißig stampfen und hampeln auf der Bühne herum, gekleidet in unsägliche Schlabberpullover, unter denen noch unsäglichere Kleider herausrutschen. Die Frisuren versuchen sich an einem Hausbacken-Retro unter der Trockenhaube, als in deutschen Wohnzimmern gerade die Farbe in die kompakten Fernsehschränke Einzug hielt. Gesprochen wird in diesem Theater wenig, es wird meist im Chor deklamiert und eine Geschichte erzählt. Die Geschichte der untergehenden Mittelklasse ohne Förderungsmerkmale – keine Behinderung, kein Migrationshintergrund, keine benachteiligte Wohngegend. In Sibylle Bergs Stück "Und dann kam Mirna" bringt die Autorin nochmals die vier Protagonistinnen ihres Erfolgsstücks „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ auf die Bühne. Um zehn Jahre sind die vier Frauen gealtert, etwa gleich alt sind ihre vier altklugen Töchter. Was ist übrig geblieben vom Traum der Rebellion?

Äußerlich haben sie sich in Hausfrauenklischees gewandelt. Innerlich müssen sie sich, wenn auch zögerlich, eingestehen, dass die großen Träume geplatzt und die großen Lebensentwürfe unvollendet sind. Das Leben hat die gesellschaftlichen Diskurse einfach mit seinen Anforderungen eingeholt, denen sich die vier Frauen immer noch nicht so recht gewachsen fühlen. Das linksliberale postmaterialistische Milieu hat sie eben doch nur mit viel Kritikfähigkeit an den bestehenden Zuständen ausgestattet, ohne aber eine Anleitung zu geben, wie es denn gehen soll, das geglückte Leben. Die Fluchtphantasien, etwa der Umzug aufs Land in eine Kommune, klingen wie aus der Mottenkiste der Spätachtundsechziger, die sich auch schon mal in der ökologischen Landwirtschaft versucht haben, ohne darin den Sinn der Lebens ohne die (sub-) kulturellen Möglichkeiten der Stadt zu finden.

Leben in diesen von Selbstzweifeln zernagten und von Selbsthinterfragung unterhöhlten Lebensentwurfsversuch bringen die vier Töchter, die gnadenlos Lebenstüchtigkeit und Normalität in nicht normalen Familienkonstruktionen einfordern. Die Ironie dabei ist, dass die Kinder der einstigen Rebellinnen selbst gegen die schiefen, rebellischen Lebenswürfe der Mütter rebellieren. Das muss nicht notwendigerweise in einer Rückkehr zur Spießigkeit der Großelterngeneration münden, jedoch tut sich ein Kind in der heutigen Gesellschaft, getrimmt auf Tüchtigkeit, Flexibilität, Hochtechnologie und weltweiten Wettbewerb, schwer, sich mit der Bedenklichkeitskultur solcher Milieus wie das Berlin-Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts als Hemmschuh abzufinden. Die Gentrifizierer von einst werden nun selbst gentrifiziert.

Sibylle Berg ist mit dem Text eine gelungene Darstellung dieser Verhältnisse gelungen, allerdings fragt sich bei einer zunehmend abschmelzenden Mittelschicht, in wieweit diese Lebensmilieu-Schilderung noch repräsentativ sein kann.

Das Maxim Gorki Theater in Berlin ist neben "Und dann kam Mirna" noch mit einem weiteren Stück beim diesjährigen 21. Prager Theaterfestival deutscher Sprache vertreten. Bereits am 22.11. wurde das Stück "The Situation" aufgeführt, in dem es so internationale zugeht, dass die deutsche Sprache kaum eine Rolle spielt. Easy English ist das Kommunikationsmittel, mit dem die fünf Figuren aus dem Nahen Osten versuchen, dem Zuschauer die eigene Geschichte und die Differenziertheit der Fluchtgeschichten zu vermitteln. Beide Theaterstücke sind Deklamationstheater, in dem vor dem Hintergrund einer fadenscheinigen Narration nach Gehör gerufen wird, damit der einzelne in dem stürmischen Rauschen aller Medienkanäle noch offene Ohren für die eigene Geschichte findet. Es handelt sich dabei um ein soziales und somit auch politisches Theater der Gegenwart. In der Bühnenausstattung beschränkt es sich auf das Minimale, an Stelle geschliffener Dialoge oder schauspielerischen Könnens stehen Spontaneität und damit Authentizität im Vordergrund. Dies ist die Form neuer sozialer Bewegungen, die auch im Theater Möglichkeiten des Ausdrucks suchen. (gl) 

Weitere Infos: www.theater.cz
Bildnachweis:
Theater.cz / © Ersa Rotthoff
Themen: Theaterfestival, Theater

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