Prag - Tschechiens Wirtschaft boomt. Nach den Ende November veröffentlichten Angaben des Tschechischen Statistikamts (ČSÚ) wuchs die tschechische Wirtschaft im dritten Quartal 2017 zwischenjährig um fünf Prozent. Damit nimmt sie einen der Spitzenplätze in der EU ein. Und wenn Tschechiens Wirtschaft wächst oder schrumpft, steht dies in der Regel in engem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.
Die wirtschaftlichen Beziehungen der beiden Länder entwickeln sich seit Jahren sehr intensiv. Politisch wurden die Grundlagen für die Beziehungen beider Länder in dem 1992 - noch mit der Tschechoslowakei - abgeschlossenen Vertrag über gute Nachbarschaft gelegt. Ein weiterer Meilenstein war die 1997 unterzeichnete und vom Deutschen Bundestag und dem tschechischen Parlament ratifizierte "Deutsch-Tschechische Erklärung". In dem Dokument erklärten beide Seiten, dass sie "ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden".
Deutschland ist heute in langfristiger Perspektive der größte ausländische Investor in Tschechien. Umgekehrt ist Deutschland das wichtigste Exportland für die Tschechische Republik. Immer mehr Deutsche leben und arbeiten zudem in Tschechien, rund 21.000 waren es nach Angaben des tschechischen Innenministeriums im Jahr 2016. Immer mehr Tschechen pendeln zudem zum Arbeiten in die Grenzregionen nach Bayern und Sachsen. Von dieser wirtschaftlichen Verflechtung profitiert natürlich auch der Dienstleistungszweig der Übersetzer und Dolmetscher. Die wichtigsten Industriezweige stellen im deutsch-tschechischen Kontext jedoch der Maschinenbau und der Fahrzeugbau dar. Eine herausragende Stellung kommt dabei dem Volkswagenkonzern zu, der mit dem Škoda Werk in Mladá Boleslav (Foto) eines der wichtigsten Zugpferde der tschechischen Wirtschaft ist.
Arbeitskräftemangel bremst Wirtschaftswachstum
Die gute Wirtschaftslage sorgte in Tschechien nicht nur für einen kräftigen Wachstumsschub des Bruttoinlandproduktes. Auch die Zahl der Arbeitslosen sinkt weiter: Im Oktober betrug die Quote landesweit nach Angaben des tschechischen Arbeitsamtes nur 2,6 Prozent, das sind 1,1 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Schon im vergangenen Jahr hatte Tschechien die niedrigste Quote in der ganzen EU. Es kann daher, ganz wie in Deutschland, von einem Arbeitskräftemangel gesprochen werden. Arbeitnehmerverbände und Wirtschaftswissenschaftler fordern als Gegenmittel, den Zugang von ausländischen Arbeitnehmern von Staaten außerhalb der EU zu erleichtern. Insbesondere Ukrainer spielen hierbei schon jetzt eine wichtige Rolle, besonders im Baugewerbe.
Politisch sind diese Forderungen jedoch wenig populär und werden von Gewerkschaftern als Versuch des "Lohndumpings" gebranntmarkt. Und dem Arbeitskräftemangel gar mittels der Aufnahme von Migranten aus Bürgerkriegsländern, aus Nordafrika oder dem Nahen Osten entgegenzuwirken, wird in Tschechien politisch nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Insbesondere die Aufnahme von muslimischen Migranten stößt bei einer überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung auf klare Ablehnung und wird inzwischen auch von vielen politischen Verantwortlichen gegenüber der EU in praktischer Politik zum Ausdruck gebracht.
Versuche der EU, die renitenten Mitgliedsstaaten Ostmitteleuropas per Pflichtquoten zur Aufnahme der Menschen zu zwingen, bringt in Tschechien die EU als Ganzes in Misskredit und stärkt die Kräfte, die sich für einen "Czexit" aussprechen. Noch sind sie in Minderheit. Und auch der designierte Ministerpräsident Andrej Babiš, der zwar als Populist gilt, aber selbst zugleich auch ein milliardenschwerer Unternehmer ist, lehnt zwar die EU-Flüchtlingsquoten ab. Er ist aber für Abenteuer außerhalb der EU oder auch nur eine Volksabstimmung über den EU-Austritt nicht zu haben.
Mindestlohn wird zum 1. Januar angehoben
Für den Jahreswechsel wird mit einer weiteren Belebung des Wirtschaftswachstums gerechnet. Die Erhöhung des Mindestlohns im Januar 2018 um 1.200 Kronen auf dann 12.200 Kronen (rund 480 Euro) und die anhaltend starke Nachfrage nach Arbeitskräften werden den Arbeitnehmern zugute kommen und den Konsum ankurbeln. Allerdings könnte Arbeitskräftemangel das Wachstum im Jahr 2018 bremsen.
Im April beendete die Zentralbank erfolgreich ihre Politik der Deviseninterventionen zur künstlichen Schwächung des Wechselkurses der Krone gegenüber dem Euro, so dass die Landeswährung nun wieder frei schwanken kann. Es wird davon ausgegangen, dass die Geldpolitik ab Ende 2017 schrittweise gestrafft wird, um der steigenden Inflation entgegenzuwirken. Eine leicht expansive Fiskalpolitik im Jahr 2017 wird der Zentralbank Spielraum für Zinserhöhungen geben. Strukturpolitische Maßnahmen, die den Arbeitskräftemangel verringern und die Produktivität steigern - wie die Ausweitung der Kinderbetreuung, um Müttern die Rückkehr an den Arbeitsplatz zu ermöglichen - würden ein schnelleres Wachstum und höhere Löhne ermöglichen. (dap)