Prag - Das Einverleiben der Krim und das widersprüchliche russische Verhalten in der Ukraine-Krise haben den Westen dazu veranlasst, seine Russlandpolitik anzupassen. Die EU war dabei in der Lage, sich gemeinsam auf Sanktionen zu einigen. Auch die EU-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn konnten sich zusätzlich im Rahmen der Visegrád-Gruppe (V4) auf eine Erklärung zur Missbilligung der Krim-Annexion und zur Solidarität mit der Ukraine einigen. Doch dieser Schein einer Harmonie innerhalb der V4 trügt.
Die geopolitischen Machtspiele, die Russland vorführt, haben auch Auswirkungen auf die politische Wahrnehmung der V4. Die Situation in der Ukraine hat dazu geführt, dass sich die unterschiedlichen Interessen deutlich herauskristallisiert haben.
Polen hat aus historischen Gründen immer eine gewisse Skepsis gegenüber der russischen Politik. Die Geschehnisse auf der Krim bestätigten quasi die Haltung Polens, dass eine stärkere Sicherheitspolitik an den Grenzen Russlands nötig ist. Polen ist gewillt, mehr Geld in die Hand zu nehmen um, im Sinne der NATO, militärisch aufzurüsten. Zusätzlich ist die polnische Regierung nicht ganz abgeneigt, weitere Sanktionen zu unterstützen, falls es die Situation erfordert. Obwohl Russland ein wichtiger Markt ist, und das vor allem im Agrarsektor, ist Polen trotzdem bereit, die möglichen Konsequenzen von Sanktionen zu akzeptieren und somit auch wirtschaftliche Einbußen zu erleiden.
Dagegen sind insbesondere Ungarn, aber auch Tschechien und die Slowakei, nicht ganz so willens, sich auf neue Sanktionen einzulassen, geschweige denn, sich an einer militärischen Aufrüstung zu beteiligen. Die Befürchtung ist groß, dass man die gespannte Lage mit Russland noch verschärfen würde. Deshalb lehnt man auch eine stärkere militärische Beteiligung an der NATO ab.
Ungarn, das mit Orbán eher einen EU-Skeptiker an der Regierungsspitze hat, möchte die engen Beziehungen mit Russland im Energiesektor aufrechterhalten. Außerdem scheint Orbán am autoritären Stil Putins gefallen zu finden. Auch die Slowakei ist ökonomisch stark am Energiefluss aus Russland interessiert, der teilweise über die Ukraine ins Land gelangt. Mit anderen Worten, hauptsächlich wirtschaftliche und energiepolitische Abhängigkeiten bewegen Ungarn und die Slowakei – im Vergleich zu Polen – zu moderateren Tönen gegenüber Russland.
Obwohl auch für Tschechien die Wirtschafts- und Energiepolitik wichtig ist, stehen momentan eher politische Gründe im Vordergrund. Der tschechische Präsident Zeman scheint eine pro-russische Politik zu verfolgen. Seine Aussagen bezüglich der Ukraine und seine Zweifel an einer direkten russischen Beteiligung an den Kampfhandlungen, lassen fast keine anderen Schlüsse zu. Da der Regierungschef Sobotka nicht vehement gegen solche Aussagen Stellung bezieht, kommt dies fast einer Zustimmung gleich. Handkehrum werden die bisherigen EU-Sanktionen unterstützt. Anscheinend ist die tschechische Außenpolitik momentan unschlüssig, klare Linien zu ziehen.
All diese Aspekte erschweren die Abstimmung innerhalb der V4. Es scheint nicht möglich zu sein, eine gemeinsame und zielgerichtete Russlandpolitik zu verfolgen. Es besteht, wie in der ganzen EU, zwar ein Konsens bezüglich der Ukraine und ihrer Anbindung an Europa, aber die Unstimmigkeiten in der Beziehung zu Russland schwächen die Stellung der V4 und somit auch der Ukraine. In diesem Zusammenhang sollte sich die V4 sobald wie möglich zusammenraufen und eine abgeglichene Richtung einschlagen, um einerseits der Ukraine eine politische Option zu ermöglichen und andererseits Stärke zu zeigen. Andernfalls könnte es dazu kommen, dass die V4 schlussendlich dem Muskelspiel Russlands ganz erliegen wird.