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Tschechien OnlineTschechien Online | Rubrik: Politik | 12.1.2008
Jiří Čunek will Clan-Strukturen aufbrechen und Roma-Gettos in Tschechien auflösen - Protest von Roma-Vertretern

Prag - Der Vorsitzende der tschechischen Christdemokraten, Jiří Čunek, hat am Freitag erneut mit Aussagen zur Roma-Problematik in Tschechien für eine Kontroverse gesorgt.

Auf einer Programmkonferenz der Regierungspartei KDU-ČSL in Prag sprach sich der Parteivorsitzende dafür aus, die traditionelle Clan- und Familienstruktur der Roma-Gettos aufzubrechen, wie tschechische Medien berichten.

Eine erfolgreiche Eingliederung der Roma-Bevölkerung in die tschechische Gesellschaft könne nur dann erfolgreich sein, wenn es gelinge, die "Abhängigkeit von traditionellen Clan-Strukturen" zu schwächen.

"Die Projekte und Prozesse der sozialen Inklusion in großen ausgegrenzten Lokalitäten kommen nicht ohne die Senkung der Dichte deren Besiedlung zurecht", so Čunek. Die Regierung, Eurofonds und billiges Wohnen sollten helfen, dass junge Roma sich von der traditionellen Familie trennen könnten, die sie demotiviere, fügte er hinzu.

Nach Čuneks Auffassung steht "die traditionelle Roma-Kultur und ihr Wertesystem in einer Reihe von Fällen im Widerspruch zur Liste der Grundrechte und -freiheiten“, die Bestandteil der tschechischen Verfassung ist.

In Tschechien gibt es Schätzungen nach über 300 Armenhäuser, -straßen und -viertel, in denen überwiegend Roma leben. Die Zahl der in solchen Gettos lebenden Menschen wird auf bis zu 80.000 Menschen geschätzt. Die Mehrheit der Erwachsenen ist arbeitslos und die Familien auf staatliche Sozialleistungen angewiesen. Die Roma-Kinder enden oft auf Sonderschulen.

Čunek meint, diese familiäre Situation trage zur Verfestigung des Elends und der Perspektivlosigkeit bei. Zur Verbesserung der Situation solle die bereits bestehende "Agentur gegen soziale Ausgrenzung" beitragen, die in den Kompetenzbereich der Ministerin für Minderheiten und Menschenrechte Džamila Stehlíková (Grüne) fällt. Zudem müsse der Staat die Eigenverantwortung der Roma fördern und Sozialleistungen an die Bereitschaft koppeln, angebotene Arbeiten aufzunehmen. Ziel solle die Auflösung bestehender Roma-Gettos oder deren Umwandlung in normale Wohnviertel sein.

Vorsichtig distanzierten sich auch bereits einige Parteikollegen von den aussagen ihres Vorsitzenden: So bezeichnete der Vizevorsitzende des Senats, Petr Pithart, Čuneks Äußerungen als "sehr kontrovers und gewagt".

Roma-Vertreter: Čunek will nur sinkende Popularität steigern

Noch deutlichere Kritik kam umgehend von Roma-Vertretern, die dem Christdemokraten vorwarfen sein infolge der verschiedener Affären ramponiertes Ansehen aufbessern zu wollen.

"Unserer Meinung nach hat Čunek seine Behauptungen mit einem einzigen Ziel vorgebracht. Mittels des Angriffes auf die Roma, die kein gutes Image in der tschechischen Gesellschaft haben, hat er sich entschieden, seine eingeführte Popularität zu erhöhen. Das falsche Spiel auf der Roma-Saite hat ihn schon einmal bis in den Senatorensessel nach oben getragen, später sogar für einige Zeit auf den Sessel des Vizepremiers", erläuterte den Standpunkt der Roma-Vereinigung ihr Exekutiv-Direktor Zdeněk Ryšavý.

Čunek hatte mit Aussagen zu den Roma bereits einige Male Schlagzeilen gemacht. Vor einem Jahr hatte er erklärt, dass man in Tschechien wie ein Rom aussehen müsse, um soziale Leistungen vom Staat erhalten zu können. „Da müssen Sie irgendwohin fahren und sich bräunen, anfangen mit Ihrer Familie Krach und auf dem Platz Feuer zu machen, dann werden erst einige Politiker sich hinter Sie stellen und sagen - das ist einer armer Mensch“.

Čuneks rasanter politischer Aufstieg hatte im Herbst 2006 vor den Senatswahlen begonnen, als er damals als Bürgermeister der mittelmährischen Stadt Vsetín zahlreiche Roma-Familien zwangsweise in Container umsiedeln lassen hatte, weil sie die Wohnungsmieten nicht bezahlt hatten. Čunek hatte seine Entscheidung damals mit den Worten verteidigt, er sehe sich als "Arzt, der ein Geschwulst entfernt".

Čunek war im November 2007 wegen einer lange schwelenden Korruptionsaffäre von den Ämtern des Vizepremiers und des Ministers für Regionalentwicklung zurückgetreten. Eine weitere Affäre drehte sich um den Bezug von Sozialleistungen. So soll Čunek von Mitte bis Ende der 90er Jahre staatliche Sozialleistungen in Anspruch genommen, im selben Zeitraum jedoch mehrere Millionen Kronen auf sein Bankkonto eingezahlt haben. Das Verfahren wegen des Korruptionsverdachts wurde inzwischen eingestellt. (nk/gp)

Themen: Jiří Čunek, Roma, KDU-ČSL

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