Das Prager Theaterfestival deutscher Sprache ist bereits am Freitag angelaufen. Leider habe ich für die Eröffnung keine Karten mehr bekommen, aber dafür war ich heute Abend bei einem Prachtexemplar von Theateraufführung: Wagners ‘Ring des Nibelungen’ als live HörSPIEL. Was eine Theateraufführung und was ein Hörspiel ist, das dürfte jeder wissen, aber ein live Hörspiel? – Und dabei habe ich doch schon einige gesehen. Das Format ist schnell erklärt; auf der Bühne befinden sich drei Menschen und jede Menge Geräte, mit denen sich Geräusche machen lassen und ich meine Geräusche. Nicht nur Töne, sondern wirklich Geräusche. Einer dieser Menschen ist Stefan Kaminski, er spricht alle Rollen aus Wagners Stück und singt auch, macht nebenbei Geräusche und das alles mit viel schauspielerischem Geschick, Hella von Ploetz und Sebastian Hilken machen dazu Musik.
So eine Theateraufführung ist auch immer ein Ereignis. Es kostet einen Zeit, man muss wirklich da sein, man kann zu spät kommen, man muss sein Handy ausschalten, man kann nicht nebenbei etwas anderes machen. Das kann alles lästig werden. Die Aufführung ist auch ein Ereignis für andere Menschen; für das Ensemble, für den Regisseur, für das Spielhaus, für die Zuschauer. Die Zuschauer bretzeln sich auf, im Theater zeigt man sich. Im Theater wird auch gegessen und getrunken, vor allem im Divadlo Komedie, das ich erst gar nicht gefunden habe, weil ich es nicht unter der Theaterkneipe vermutet habe. Ich habe mir auch die Zeit genommen leibhaftig zu erscheinen, ich war schon viel zu früh da. Ich konnte es gar nicht abwarten.
In der Theaterkneipe lästiges Warten. Ich versuche meine Geschichte für den NaNoWriMo weiterzuschreiben, aber es will mir nicht so recht gelingen. Ich sage mir: Du darfst keine Erwartungen haben, du könntest dich enttäuschen. Und ich schreibe und schreibe tagelang ohne das Geringste von mir zu halten. Die Geschichte wächst und entwickelt sich und ich lese noch mal nach und denke: das ist nicht übel, das hast du schon mal schlimmer hingekriegt und dann will ich weiterschreiben und es ist passiert. Ich will es nicht versauen, Ende der Goldader.
Ich versuche es also mit lesen und rauchen. Ich sitze draußen, sitze meine letzten 10 Minuten in der Kälte ab, weil ich nicht einfach nur warten kann. Dann gehe ich zurück und die schlechte Nachricht ist, dass das Warten kein Ende haben wird, vorerst. Die Schauspieler brauchen noch Zeit. 15 Minuten, eine halbe Stunde. Trauerspiel für eine Person: Warten auf Godot. Ich kann mir die Leute ansehen. Was für seltsame Leute ins Theater gehen. Im Theater ist man nie allein, auch wenn man das glaubt. Es gibt Momente, da ist eine Schauspielerin in ihrem Element, dann bin ich bei ihr. Dann wünsche ich mir, ich wäre alleine mit dieser Szene im Saal. Das hat aber nichts mit dem Menschen da auf der Bühne zu tun, nur damit was er tut, dass er lebt, wünscht, hofft oder will. Wenn dann jemand neben mir ist, der das nicht sieht oder nicht schätzt, dann wünsche ich mir, ich wäre alleine da. Manchmal bin ich es.
Stefan Kaminski verwandelt sich auf der Bühne. Wotan, Loge, der Zwerg Alberich. Frauen spielen im Rheingold keine großen Rollen, aber auch ihre Stimmen bekommt er perfekt hin. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich das Original gar nicht kenne. Für mich ist es auch besser alles neu zu hören. Betrug, Betrug, Betrug. Alles, was du bist, Wotan, bist du nur durch Verträge. Allein der Geräuschmusik könnte ich stundenlang zuhören. Wie Richard Wagner wohl diese Inszenierung sehen würde? – Er hat fast 30 Jahre an diesem Stück gearbeitet. Die Texte geschrieben, die Gesänge komponiert. Noten geschrieben für einhundert Musiker und 34 Solisten, 16 Stunden Laufzeit für vier Tage vorgesehen. Auch das live HörSPIEL läuft an vier Abenden.
Ich glaube der Humor wäre dem ernsten Wagner nicht so gut bekommen, aber sowas darf man nicht sagen. Am besten schweigt man über Menschen, die man nicht kennt. Meiner Aufmerksamkeit tat der Humor keinen Abbruch. So oft werden Ernst und Stille im Theater durch schlechten Humor erstickt, wie die eingespielten Lacher in Seifenopern jeden Anfall von Schmalzigkeit im Keim ersticken. Aber Schmalzigkeit ist nur Ausdruck misslungenen Schreibens.
Die Geschichte geht weiter. Das Rheingold ist bei den Riesen und Freia wieder bei den Arsen. Alberich ein fluchender kleiner Zwerg. Ein Fluch lastet auf dem Ring. Interessant, oder? – Das Stück entstand zur Zeit der gescheiterten Revolution. Der Mythos, das ist etwas, das uns erzählt wer wir sind. Es fängt alles mit dem Raub des Goldes an, mit Versklavung und Vertragsbruch. Am Ende des ersten Aktes steht das Haus der Götter. Die Wohnung ist bezogen, die Grenzen sind gezogen, die Verträge ausgehandelt. Die dunkle Vorahnung schläft noch. Auf dem Ring lastet der Fluch des Zwerges.