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www.unicef.dewww.unicef.de, www.ecpat.dewww.ecpat.de | Pressemitteilungen | 28.10.2003
Cathrin Schauer: Kinder auf dem Strich - Bericht von der deutsch-tschechischen Grenze Hg: UNICEF Deutschland, ECPAT Deutschland, Horlemann-Verlag, Bad Honnef, 2003

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

Der Bericht „Kinder auf dem Strich“ ist das Ergebnis jahrelanger systematischer Beobachtungen, Gespräche und Interviews. Die Autorin kennt die Prostitutions- und Drogenszene im deutsch-tschechischen Grenzgebiet durch ihre tägliche Arbeit als Streetworkerin für das Sozialprojekt KARO.

Ihr Bericht zeichnet zum ersten Mal ein umfassendes Bild der sexuellen Ausbeutung von Kindern in dieser Region durch - vorwiegend deutsche - Sextouristen. Er zeigt das Ausmaß des von organisierten Zuhälterringen betriebenen Geschäfts und die Lebensumstände ihrer Opfer. Das erschreckende Fazit der Autorin: Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet hat sich ein regelrechter Markt für Kindersex entwickelt. Seit 1996 wurden etwa 500 Mädchen und Jungen beobachtet.

Das Projekt KARO

Das Sozialprojekt KARO arbeitet seit 1994 auf beiden Seiten der deutsch-tschechischen Grenze. Fünf Sozialarbeiter kümmern sich um die Frauen und Kinder auf dem Straßenstrich und in Bordellen, verteilen Kondome und Informationsmaterial zur AIDS-Prävention. Hilfe und Beratung gibt es zudem in der Beratungsstelle in Cheb (Eger), die 1996 aufgebaut wurde, sowie im KARO-Büro in der sächsischen Stadt Plauen. KARO finanziert sich - begrenzt bis zum Jahr 2004 - aus Mitteln der EU sowie einem Zuschuss des Freistaates Sachsen. Träger ist der Obervogtländische Verein für Innere Mission Marienstift e.V..

Seit 1996 wurden durch regelmäßige teilnehmende Beobachtungen im Rahmen der Sozialarbeit systematisch Informationen über das Ausmaß der Kinderprostitution in der tschechischen Grenzregion des Bezirks Karlovy Vary (Karlsbad) gesammelt. Diese Daten wurden ergänzt durch mehr als 200 Interviews, die zwischen Oktober 1998 und Juni 2003 geführt wurden. Interviewt wurden 40 betroffene Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 17 Jahren, 100 erwachsene Prostituierte, die in der Region arbeiten, elf Mitarbeiter sozialer Einrichtungen, zehn Polizeibeamte sowie 50 Passanten an den Grenzübergängen.

Kinderprostitution an der deutsch-tschechischen Grenze - das Ausmaß

Im deutsch-tschechischen Grenzgebiet hat sich seit 1996 ein regelrechter Markt für Kindersex entwickelt. Die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern in dieser Region hat stark zugenommen. Ein wichtiger Grund dafür ist die wachsende Nachfrage: Immer häufiger fragen Sextouristen gezielt nach Kindern. Dies zeigen die Beobachtungen Cathrin Schauers und des KARO-Teams ebenso wie die Interviews und Gespräche mit erwachsenen Prostituierten.

Seit 1996 haben die KARO-Mitarbeiter etwa 500 Mädchen und Jungen beobachtet, die sich selbst zur Prostitution anboten oder von Erwachsenen angeboten wurden, die Jüngsten davon waren noch im Säuglingsalter. Die Kinder wurden vor allem entlang der Europastraßen E 48 und E 49 und an den kleinen Verbindungsstraßen zu den Grenzübergängen sowie in grenznahen Ortschaften gesehen.

Die Mädchen und Jungen halten sich an Tankstellen, Bushaltestellen oder Raststätten auf. Innerhalb der Ortschaften findet man sie auch in Parks, vor Supermärkten und Eingängen von Spielhallen, am Bahnhof oder in Hauseinfahrten. In einer Kleinstadt wurde beobachtet, wie sich Kinder an den Fenstern bordellähnlicher Einrichtungen präsentierten. In manchen Straßenvierteln warten die Kinder in Autos oder am Fenster von Wohnhäusern auf die Sextouristen. Auch Frauen mit Kleinkindern oder sogar Säuglingen auf dem Arm halten hier Ausschau nach Sextouristen.

Säuglinge und Kinder bis zum Alter von etwa sechs Jahren werden den Sextouristen meist von Frauen angeboten. Kinder ab etwa sieben Jahren werden oft von männlichen Jugendlichen oder Erwachsenen begleitet. Auf Parkplätzen oder vor Supermärkten fallen immer wieder kleine Kinder auf, die nur deutsche Männer ansprechen: („Kannst Du mich ein bisschen mitnehmen“) und um Geld oder Essen betteln („Kannst Du mir ein Eis kaufen?"). Viele steigen bei deutschen Sextouristen ins Auto und fahren mit ihnen weg. Die größeren Kinder ab etwa acht Jahre verhandeln oft wie selbstverständlich über Preise und Sexualpraktiken. Sie bieten sich an mit Fragen wie „Willst du Sex? Willst du blasen? Willst du ficken?“.

Die Männer fahren mit ihren Opfern fast immer allein im Auto zu Orten, die sie „Stichplätze“ nennen, damit sie die Kinder dort unbeobachtet missbrauchen können. Diese Plätze befinden sich an Stadträndern, in nahe gelegenen Waldstücken, in der Nähe von Parkanlagen und abgelegenen Garagen oder in unbelebten Seitenstraßen. Oder die Peiniger gehen mit ihren Opfern - manchmal in Begleitung des Zuhälters - in eine Wohnung in der Nähe des Standplatzes.

Die Opfer

Die 40 Kinder, die im Rahmen der Untersuchung ausführlich interviewt wurden, waren zwischen sechs und 17 Jahren alt. Sie kommen aus sozial benachteiligten, verarmten und kinderreichen Familien der Regionen Westböhmen, Nordböhmen, Südböhmen und der Slowakei. Die Eltern sind meist arbeitslos, viele sind drogen- und / oder alkoholabhängig, einige sitzen im Gefängnis. Die Kinder fallen oft durch ihr verwahrlostes Äußeres auf, sie besuchen nur selten die Schule und sind täglich damit beschäftigt, den Lebensunterhalt für ihre Familie zu verdienen.

Die befragten Kinder reden nur ungern über ihre Familien. Viele von ihnen wurden bereits vor ihrem Einstieg in die Prostitution vergewaltigt und sexuell missbraucht. Soziale Armut, sexueller Missbrauch sowie der Zwang durch Familienangehörige - das sind die wesentlichen Gründe, mit denen die Kinder beschreiben, warum sie in der Prostitution gelandet sind. Wie sehr die Armut der Familien den Einstieg in die Prostitution fördert, beschreibt exemplarisch der zwölfjährige Karel. „Früher habe ich gebettelt an den Autos der Deutschen. Wir haben kein Geld zu Hause. Dann bin ich eben mit denen mitgefahren.“

Als Bezahlung erhalten die Kinder meist fünf bis 25 Euro. Manchmal gibt es auch nur Süßigkeiten. Einige Sextouristen gehen mit den Kindern auch Essen oder unterstützen die Familien materiell. „ Der K. schläft manchmal bei uns und dann geht der mit meiner Mutter einkaufen“, berichtet Petr, 13.

Alle Kinder berichten über Gewalt, die ihnen Zuhälter und Sextouristen antun. Kinder werden ins Gesicht geschlagen, an den Haaren gezogen und mit Füßen getreten. Die Sozialarbeiter beobachten häufig schwere Blutergüsse - bis hin zu schweren Schnittverletzungen im Genitalbereich. Sextouristen setzen die Kinder teilweise ohne Kleidung an den „Stichplätzen“ aus. Ein Kind wurde gefesselt zurückgelassen. Der elfjährige Antonin erzählt im Interview: „Ein Deutscher hat mich im Auto gefesselt und mir den Mund zugeklebt“. Vor allem die Mädchen berichten zudem von Gewalt in ihren Familien. Danka, 14, erzählt: „Wenn mein Vater und mein Bruder besoffen sind, dann schlagen sie mich immer.“

Die Zuhälter

Die beobachteten Zuhälter kommen aus Tschechien oder der Slowakei, vereinzelt gab es männliche vietnamesische Zuhälter. Die Interviews mit erwachsenen Prostituierten und Gespräche mit Sextouristen ergaben, dass sie nicht selten von organisierten Strukturen als Mittelsmänner oder Handlanger eingesetzt werden. Oft sind die Zuhälter Verwandte der Opfer: Mütter, Großmütter, andere Familienangehörige oder auch Bekannte der Familie. Einige der Mütter arbeiten auch selbst als Prostituierte. „Meine Mama hat mir gesagt, wie ich das machen muss“, erklärt die zehnjährige Iveta im Interview. Auch ältere Kinder, die schon länger in der Prostitution arbeiten, werden oft als Aufpasser eingesetzt, oder sie müssen die Jüngeren anlernen. Schon 13-Jährige vermitteln jüngere Kinder.

Die Täter

Die Täter sind vorwiegend deutsche Sextouristen aus den angrenzenden Regionen der Bundesländer Bayern und Sachsen - erkennbar an den Autokennzeichen. Immer häufiger kommen aber auch Wagen aus ganz Deutschland, aus Österreich und Italien. Auch US-amerikanische Kennzeichen wurden beobachtet. Die Sextouristen reisen fast immer alleine an - meist mit Mittel- und Oberklassewagen, manchmal auch in Kleinbussen mit verdunkelten Scheiben. Ihr Alter liegt zwischen 18 und 80 Jahren, unter ihnen ebenso gepflegte wie verwahrloste Männer. Es gibt Freier, die mehrmals wöchentlich anreisen, andere kommen in größeren Abständen. Als Erklärung, warum sie Kinder als Sexpartner missbrauchen, geben einige an: bei jüngeren Prostituierten müssten sie noch nicht mit Geschlechtskrankheiten oder AIDS rechnen.

Kinderhandel

Die Untersuchung gibt eindeutige Hinweise auf organisierten Kinderhandel. Kinder aus anderen Regionen der tschechischen Republik und aus mittel- und osteuropäischen Staaten werden in die Grenzregionen oder von dort aus nach Deutschland verkauft, um sie sexuell auszubeuten. So wurden in der Grenzregion Kinder aus entfernten Regionen Tschechiens, aus der Slowakei und weiteren Ländern, zum Beispiel Moldawien, Ukraine, Litauen und Weißrussland, beobachtet und befragt. Ihre Aussagen sowie insbesondere die Interviews mit erwachsenen Prostituierten machen deutlich, dass Zuhälterbanden systematisch Minderjährige in die deutsch-tschechische Grenzregion verschleppen und zur Prostitution zwingen.

Ein Mädchen aus Ostmähren berichtete einer Karo-Mitarbeiterin, dass ein Bekannter ihrer Familie sie in den Sommerferien von zu Hause weggebracht habe. In der Nähe der deutschen Grenze wurde sie mit anderen 12- bis 14-Jährigen in einem Zimmer untergebracht. Ihre Zuhälter boten sie am Straßenrand zur Prostitution an. Nach dem Gespräch mit KARO verschwand das Mädchen. Auf die Frage nach ihrem Verbleib gaben die erwachsenen Prostituierten, die in der Nähe arbeiteten, ein knappes „Verkauft!“ zur Antwort.

Einige der Prostituierten haben bereits eine Odyssee durch mehrere Länder Europas hinter sich. Marketa aus Nordböhmen zum Beispiel wurde mit 14 Jahren in die Prostitution verkauft. Zunächst arbeitete sie in einem Bordell in einer tschechischen Großstadt. Von dort aus wurde sie über mehrere Stationen in die Grenzregion verkauft. Später kam sie zusammen mit anderen Mädchen in einem Taxi über die Grenze nach Deutschland und dann weiter nach Straßburg. Hier warteten wieder Zuhälter auf sie, die sie auf den Straßenstrich zwangen.

Mehrere der interviewten Kinder berichteten, dass sie mit ihren Zuhältern oder mit Sextouristen in Deutschland und auch in Frankreich gewesen sind. Einige fahren an Wochenenden mit Sextouristen nach Deutschland und bleiben auch längere Zeit dort. „Manchmal fahre ich mit den Deutschen über die Grenze. Da gehen wir in den Wald, und meine Mama ist auch mit“, erzählt der sechsjährige Frantisek.

Anmerkung: Alle Namen Betroffener wurden geändert.

Autor:
Pressemitteilung von UNICEF und ECPAT, 28.10.2003

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