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Der Autor

Janna Steenfatt wurde 1982 in Hamburg geboren und absolvierte ein Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Sie erhielt mehrere Preise und Stipendien, so u.a. 2009 ein Aufenthaltsstipendium der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen, 2010 ein Aufenthaltsstipendium für das Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf, 2012 ein Werkstattstipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung, sowie den Limburg-Preis der Stadt Bad Dürkheim und zuletzt 2013 ein Aufenthaltsstipendium der GEDOK Schleswig-Holstein.

Sie schrieb Theaterstücke und Erzählungen, die in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht wurden und arbeitet derzeit an ihrem ersten Roman.

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21.6.

Eines der ungeschriebenen Gesetze von längeren Auslandsaufenthalten ist ja bekanntermaßen, dass man die interessantesten Menschen immer erst ganz am Ende trifft.

L. bin ich zwei Mal zufällig begegnet, bevor wir anfingen, uns absichtlich zu begegnen. L. hat es sich zur Aufgabe gemacht, mich in die tschechische Literaturszene einzuführen und stellt mich der Übersetzerin von Sven Regener vor, die ganz genau so ist, wie man sich die Übersetzerin von Sven Regener vorstellt (und im Übrigen ist sie, wie sie selbst ganz unbescheiden sagt, die Übersetzerin von eigentlich allen wichtigen deutschsprachigen Gegenwartsautoren). An einem hundstagheißen Sommerabend sitzen wir in einer Kellerkneipe, in der Weinschorle in 0,5 Liter Gläsern serviert wird und sprechen über Politik und Literatur und den Sexismus in der tschechischen Sprache, den ich unterstelle, weil das Geschlecht hier immer gleich und unmissverständlich zuzuordnen ist, wie ich von einer anderen - meiner - Übersetzerin weiß (und freue mich später trotzdem halb tot über die eigentlich absurde Steenfattová, die hier aus meinem Namen wird).

Mit L. fahre ich spät noch nach Vršovice, wo wir eine Kneipe besuchen, in der heute eigentlich ein offenbar ziemlich berühmter tschechischer Musiker hätte auftreten sollen, der überraschenderweise gestern recht jung verstorben ist. Stattdessen treffen wir dort auf seinen Bruder, einen offenbar ziemlich berühmten tschechischen Schriftsteller, der dort mit einem anderen, offenbar ebenfalls ziemlich berühmten tschechischen Musiker (eine Legende! sagt L.) und einigen sehr jungen Frauen Trost im Alkohol sucht.
Manche haben ihn bereits gefunden, es ist um kurz nach Mitternacht bereits eine Stimmung hier wie auf St.Pauli um fünf Uhr morgens, alles wankt und taumelt und alle, wirklich alle Leute, die an unserem Tisch vorbei kommen, bleiben stehen und sprechen uns auf tschechisch an, so dass ich L. beeindruckt frage, woher sie all diese Menschen kenne – sie kenne die gar nicht, sagt sie, es sei nur, weil wir direkt an der Tür säßen. Pflichtbewusst stellt sie mich dem offenbar ziemlich berühmten tschechischen Schriftsteller vor, der, in eine Wolke aus jungen Damen gehüllt, ziemlich betrunken meine Hand schüttelt und sagt, er ginge jetzt in eine andere Kneipe, weil es hier scheiße sei. Als wir die nächtlich stille Krymská hinunter laufen, liegt ein Mann regungslos auf dem Dach eines Autos, eine Frau steht daneben und spricht ruhig auf ihn ein. Offenbar bin ich die Einzige, die der hiesige Grad der Betrunkenheit zu noch nicht einmal allzu sehr vorgerückter Stunde zu irritieren scheint.
Was mich allerdings noch mehr irritiert, ist die Förmlichkeit der Tschechen, die in der Lage sind, einen noch immer konsequent zu siezen, obwohl man sich bereits zum wiederholten Male zusammen betrinkt, obwohl man sich schon das eine oder andere über einander verraten hat. Aber mir scheint, dass die Förmlichkeit im Tschechischen eine andere ist als im Deutschen. Eine liebevollere, intimere Förmlichkeit. Die, wie L. mir erklärt, sich gegen das sozialistische Geduze im Sinne von Du, Genosse abzuheben sucht. Die Erklärung leuchtet mir ein; obwohl es mich eigentlich fast über die Maßen reizen würde, zu sehen, bis zu welchem Punkt man das Siezen theoretisch aufrecht erhalten kann, bevor es völlig absurd wird und obwohl ich eine Kinderstube genossen habe, die mir beigebracht hat, dass es mir als der jüngeren Person eigentlich nicht obliegt, ist es mir nach dem fünften Bier schlicht zu anstrengend, gegen den Widerstand im Mund anzukämpfen und ich breche mit den Konventionen und biete L. das Du an.
Und wie soll man auch eine Person siezen, mit der man um vier Uhr morgens im strömenden Regen völlig durchnässt in eine Bar stolpert und den humorlosen Barmann bequatscht, damit man sich, obwohl eigentlich schon sowasvon geschlossen ist, tropfend am Slivovice wärmen darf; ein Unsinn wäre das, meiner Meinung nach (Schmarrn, würde L. sagen, die in Bayern deutsch gelernt hat - ich kann nicht aufhören, mich zu freuen über die seltsamen Wortkreationen, die manchmal aus ihr heraus sprudeln, eine Mischung aus tschechisch und bayerisch, beides Fremdsprachen für mich, die ich aus Norddeutschland stamme, zwei Fremdsprachen, die gegensätzlicher nicht sein könnten). Wie sollte man nicht Du sagen, zu einer Person, der man in der Morgendämmerung hinterherläuft, in Stadtteilen, in denen man nie zuvor gewesen ist, mit diesem guten Gefühl, fremd zu sein und sich treiben zu lassen und jetzt endlich einmal jemandem nachzulaufen, ohne Stadtplan in der Hand, einfach Gast sein und darauf vertrauen, dass die Person, die kaum noch des Geradeausgehens mächtig ist, aber trotzdem niemals ihre Stadtführerqualitäten vergisst und mich klatschnass, hundemüde und sternhagelvoll noch vor ein Denkmal zerrt und mir einen Vortrag über Karel Čapek hält um vier Uhr dreißig in der Früh, einen irgendwann wieder nachhause führen wird.

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