Wir kommen an, übermüdet, die Kinder überdreht, nach einer fast siebenstündigen Reise. In Leipzig fällt erst der IC nach Dresden aus, dann der dafür eingeplante Ersatzzug. Gut, denke ich, kann passieren. Wir fahren also in einem überfüllten Regionalexpress nach Dresden. Steigen da um, müssen aber auf den nächsten Zug nach Prag jetzt anderthalb Stunden warten. Wir nutzen die Zeit aber genussvoll und gehen essen. Per SMS erfahre ich, dass uns in Prag nicht wie geplant Frau K. abholen wird, sondern oder Direktor des Literaturhauses, Herr S., persönlich, Frau K. ist krank, Frau Š. auch. Wir fahren weiter, zwei Berliner im Abteil, die uns die Fotos von ihrer Katze, »russisch Blau« zeigen. Beide arbeiten in der öffentlichen Verwaltung und machen fünf Tage Urlaub in Prag und jammern ansonsten über die chaotischen Zustände auf den Ämtern, nichts funktioniere mehr. Der Mann hat Ohrringe und ist gehbehindert, die Frau hat schlechte Zähne und fasst offenbar gerne fremde Kinder, in dem Fall Anouk, an. Vor Joram ekelt sie sich, weil er sabbert. Gut so. Ich beschließe sie übergriffig zu finden. Obwohl ich keine Lust auf ein Gespräch mit ihnen habe, reden wir andauernd, auch, weil die Kinder den Kontakt »erzwingen«. Gehe irgendwann mit Joram auf den Gang und versuche ihn Kinder Manduca zum Schlafen zu bringen, was auch gelingt. Bekomme eine SMS: Wieder ändert sich etwas, auch Herr S. holt uns nicht ab, sondern Frau Š., deren Gesundheit nun wohl doch ausreicht. Wir warten auf dem Bahnsteig, wir wollen Aufnahmen machen, für das Feature über unseren Aufenthalt in Prag, aber die Bremsen der einfahrenden Züge sind so laut, dass wir die Aufnahmen wahrscheinlich vergessen können. Mit der Tram durch die Stadt. Die vertrauten Fassaden gleiten an mir vorbei, Menschen mit großen Koffern, Touristen, sage ich verächtlich zu mir, und sehe an mir herab und habe ja selbst einen Koffer in der Hand.
Bin ich denn mehr als ein Tourist? Wir laufen auf mir vertrauten Wegen, denn die Wohnung befindet sich unweit meiner alten Fakultät, ich bin absorbiert von den Eindrücken und hänge - außerdem ins Gespräch mit Frau Š. vertieft - Karoline und Anouk zeitweilig sogar ab, worüber Karoline später är- 2 gerlich ist. Nachdem wir in die Wohnung eingewiesen worden sind, geht es noch kurz um den Aufenthalt und Frau Š. meint, dass es sie wundere, dass ich unbedingt mit der Familie anreisen wollte, eigentlich sei das Stipendium ja dazu gedacht, dass man auch mal Abstand von der Familie bekomme und ich höre sofort eine leise Kritik, von der ich gerne hätte, dass sie mir egal ist, auch weil mich ärgert, dass dahinter ja die Annahme steht, dass intensive schöpferische Arbeit immer nur ohne Familie, ohne Sorgenarbeit gedacht werden kann.
Wir müssen einkaufen. Karoline bleibt mit den Kindern in der Wohnung, während ich mit Frau Š. losgehe. Versuche kurz noch herauszufinden, was sie eigentlich für eine Krankheit hat, traue mich aber auch nicht, allzu direkt nachzuhaken, aus Angst indiskret zu sein. Bei allem bleibt sie reichlich distanziert und ich kann nicht einschätzen, was der Grund dafür ist und das wiederum macht mich nervös. Kaufe am Karlsplatz bei Albert ein. Die Stadt erscheint mir voller als vor zehn Jahren. Und in der Myslikgasse gibt es jetzt eine französische Bäckerei, angeblich sogar Handwerk, vielleicht probiere ich die am Wochenende mal aus. Nach dem Abendbrot schauen Anouk und ich noch aus dem Fenster und ich erkläre ihr, was die Sofien-, was die Kinderinsel ist, warum so viele Lichter am Laurenziberg leuchten und dass der Turm da oben tatsächlich eine Kopie des Eiffelturms ist.
Sie ist aufgeregt, weil sie morgen zum ersten Mal in die neue Schule fährt. Und ich merke, dass ich das alles nicht mehr so richtig abfangen kann, weil ich selber müde bin und plötzlich zweifle, ob es wirklich eine gute Idee gewesen ist, die ganze Familie, meiner Schreiberei und Prag wegen hierher verpflanzt zu haben. Schön, dass ich jetzt mal wieder auf die Prager Burg schauen kann, aber ist es das wert?
Ich öffne das Fenster, unten lärmen die Leute vor dem Manes-Club, die Moldau rauscht, das Wasser, das ins nahegelegene Wehr einschießt, ist lauter als der Autoverkehr. Ich kann die Burg sehen, die Hungermauer, das Ufer von Smichov. Schreibe noch ein paar Zeilen, aber mir fallen dabei die Augen zu 3 und so beschließe ich mit Karoline den Tag bei einem Bier und dann gehen wir schlafen.