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Tschechien OnlineTschechien Online | Rubrik: Wirtschaft | 14.10.2012
Große Ketten verdrängen kleine Arzneimittelhändler / Regierung will mit Gesetzesnovelle Reexporte einschränken / Von Gerit Schulze (gtai)

Prag - Das Geschäft mit Medikamenten läuft in Tschechien auch in wirtschaftlich schwachen Zeiten gut. Die Umsätze der Apotheken haben 2011 einen neuen Rekordwert erreicht. Dabei durchläuft die Branche einen Konsolidierungsprozess, bei dem große Ketten immer mehr Marktanteile gewinnen.

Gleichzeitig bereitet die Regierung Gesetzesänderungen vor, um die Reexporte von Arzneimitteln einzuschränken. Diese sind bislang attraktiv, weil die Tablettenpreise in Tschechien zu den niedrigsten in Europa gehören.

Tschechien bleibt trotz der aktuellen Konjunkturschwäche ein wichtiger Absatzmarkt für Pharmaprodukte. Die Umsätze der Apotheken mit Arzneimitteln sind 2011 auf den Rekordwert von 64 Mrd. Kc (2,6 Mrd. Euro, durchschnittlicher Jahreswechselkurs: 1 Euro = 24,59 Kc) gestiegen. Das war nach Angaben des Instituts für medizinische Information und Statistik (UZIS) ein Plus von 1,2% gegenüber dem Vorjahr.

Damit bleibt der Apothekensektor attraktiv für Investoren. Die Zahl der Verkaufsstellen hatte 2011 ebenfalls einen neuen Höchststand von 2.574 erreicht. Das waren 83 Apotheken mehr als ein Jahr zuvor. Rund 3.900 Einwohner teilen sich eine Filiale. Nach Berechnungen des UZIS erzielte eine Apotheke in Tschechien 2011 einen durchschnittlichen Jahresumsatz von 20,7 Mio. Kc (840.000 Euro). Regional gibt es jedoch große Unterschiede. Während ein Prager Medikamentenverkäufer im Schnitt 25,6 Mio. Kc Umsatz pro Jahr erlöst, erreichen seine Kollegen im Bezirk Liberec oder in Südböhmen nur rund 18 Mio. Kc.

Nach Untersuchungen des Marktforschungsinstitut GfK Incoma besucht jeder Tscheche pro Jahr etwa 14 mal eine Apotheke. Bei jährlich ausgestellten 74 Mio. Rezepten kommen auf jeden Einwohner sieben Abholscheine, auf denen allerdings maximal zwei Arzneimittel verschrieben sein dürfen.

Trotz der steigenden Zahl der Verkaufsstellen durchläuft Tschechiens Apothekensektor einen Konzentrationsprozess. Besonders die tschechisch-slowakische Investitionsgruppe Penta will dabei ihre dominante Marktposition ausbauen. Zu der Holding gehören bereits 212 "Dr. Max"-Apotheken. Im Sommer 2012 hat Penta außerdem den Kauf des Pharma-Großhändlers Gehe und der 55 Lloyds-Apotheken von der deutschen Celesio eingefädelt (Kaufpreis: 85 Mio. Euro). In den kommenden zwei Jahren will Penta insgesamt bis zu 500 Apotheken im Land betreiben.

Dabei soll auch eine aggressive Preispolitik helfen. Die "Dr. Max"-Kette plant, etwa 30 der meistverkauften Präparate künftig selbst produzieren zu lassen. Auf diese Weise könnten Zwischenhändler ausgeschaltet und die Preise gesenkt werden. Den Anfang machen nach Informationen der Tageszeitung Hospodarske Noviny die beiden Schmerzmittel Ibuprofen und Paracetamol. "Dr. Max" wird die Arzneimittel in Großbritannien produzieren lassen und dann unter eigener Marke verkaufen. Die Medikamente sollen ein Drittel günstiger als bisher angeboten werden.

Diese Aktion könnte die Konsolidierung im tschechischen Apothekensegment beschleunigen. Kleine und unabhängige Geschäfte werden dem Preisdruck nicht lange standhalten und die Ketten werden zunehmend den Markt beherrschen. Die von "Dr. Max" übernommene "Lloyds" war bislang der drittgrößte Anbieter im Land. Zweitgrößte Filialgruppe ist Benu mit rund 120 Verkaufsstellen. Sie gehört zum deutschen Pharmahändler Phoenix (Merckle Unternehmensgruppe).

Eine neue Apothekenkette baut das tschechische Unternehmen Pears Health Cyber auf. Das Unternehmen betreibt bereits den größten online Medikamentenshop des Landes Lekarna.cz. Inzwischen haben die Prager mehrere stationäre Filialen in Albert-Hypermärkten eröffnet und wollen bis Ende 2013 in sechs weiteren Städten des Landes expandieren. Auch die Handelsgruppe und Einkaufsgenossenschaft COOP will demnächst in 50 ihrer Läden frei verkäufliche Arzneimittel anbieten. Als lukratives Nebengeschäft hatten bereits Schlecker-Filialen Medikamente im Angebot. Nach der Insolvenz der deutschen Muttergesellschaft werden die tschechischen Schlecker-Läden von der Teta-Drogeriegruppe weitergeführt.

Für Pharmahändler und -hersteller könnten sich die Rahmenbedingungen ab 2013 in Tschechien ändern, denn die Regierung bereitet Änderungen am Arzneimittelgesetz vor. Damit sollen die EU-Normen für die systematische Überwachung der Sicherheit von Medikamenten (Pharmakovigilanz) erfüllt werden. Außerdem will Prag effektiver gegen Fälschungen vorgehen. Ein wichtiges Ziel der Novelle ist es, die Versorgung des Landes mit Medikamenten sicherzustellen. Denn bislang wird ein großer Teil der eingeführten Pharmaprodukte wieder reexportiert, weil damit gute Gewinne realisierbar sind.

Arzneimittel in Tschechien gehören dank eines rigiden Referenzpreissystems mit niedrigen Erstattungsbeträgen zu den billigsten in der EU. Für Pharmahändler ist es daher attraktiv, die Produkte in den Nachbarländern weiterzuverkaufen. Die Apotheken hatten zuletzt jedoch versichert, daran nicht beteiligt zu sein. Nach Angaben der Regulierungsbehörde für Arzneimittel (SUKL) landen ein Fünftel der für den tschechischen Markt bestimmten Medikamente wieder im Ausland. Das führt bei manchen Produktgruppen zu Engpässen bei der Versorgung.

Durch die geplanten Gesetzesänderungen will das Gesundheitsministerium die Reexporte einschränken. Die Lieferpapiere für Medikamente sollen nun genaue Angaben darüber enthalten, ob das Präparat für den Apothekenverkauf oder für eine weitere Distribution bestimmt ist. Für Apotheken bestimmte Arzneimittel dürfen nur an Patienten verkauft werden und nicht ins Ausland.

Experten wie Tschechiens Pharmaverband CAFF kritisieren die niedrigen Erstattungen für Arzneimittel schon länger. Nach ihrer Auffassung werde dadurch die Entwicklung neuer Präparate im Land verhindert.

Laut Statistikamt gibt es in Tschechien 34 größere Pharmaproduzenten mit mehr als 50 Mitarbeitern. Sie erzielten im Jahr 2011 einen Umsatz von 28,4 Mrd. Kc (-1,0%). Im 1. Quartal 2012 gingen die Erlöse um weitere 4,5% zurück. Eine andere Rechnung legt das Industrie- und Handelsministerium vor. Dieses gibt die Zahl der Branchenunternehmen, unabhängig von der Betriebsgröße, für 2011 mit 101 an (NACE 21). Das ist ein Viertel weniger als vor der Wirtschaftskrise 2008. Die Umsätze sollen im Vorjahr ein Volumen von 28,8 Mrd. Kc (+12%) erreicht haben. In langlebige Anlagegüter haben Tschechiens Arzneimittelbetriebe 2011 rund 3,3 Mrd. Kc investiert und damit fast ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor.

Der wichtigste Inlandshersteller und einer der größten Generika-Produzenten in Mittelosteuropa ist Zentiva. Das Unternehmen wurde ab 2006 schrittweise von Sanofi-Aventis gekauft und will nun nach Afrika und Nahost expandieren. Laut Medienberichten ist dafür ein Ausbau der türkischen Werke geplant. Die Prager Niederlassung soll für den Sanofi-Konzern führend bei der Entwicklung von Generikaprodukten werden.

Weitere wichtige tschechische Pharmabetriebe sind die Werke des internationalen Teva-Konzerns in Opava, der Enzymhersteller Lonza Biotec in Horatev, die Firma Walmark in Oldrichovice (Nahrungsergänzungsmittel) und Farmak in Olomouc (Pharmazusatzstoffe und Halbfabrikate).

Themen: Apotheken, Pharmaindustrie, Gesundheitswesen, Arzneimittel

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