Prag - Oper light, das muss nicht gleich Operette heißen.
Im Gegenteil: Die "Drei Fragmente aus der Oper Juliette", die nun zum erstmals auf einer CD-Einspielung zu hören sind, zeigen, dass in einer komprimierten, gerade einmal 38 Minuten andauernde Zusammenstellung von Höhepunkten aus einem kompletten Opernwerk allerhöchsten künstlerisches Niveau und allerbeste Hörzugänglichkeit vereinbar sind.
Seine Oper Juliette, der er den Untertitel "Das Traumbuch“ gab, hatte der tschechische Komponist Bohuslav Martinů 1938 fertiggestellt. Wenige Wochen vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Böhmen gelangte sie im Nationaltheater in Prag noch zur Uraufführung. Dann aber konnte der Komponist, der bereits länger in Paris lebte, sein Heimatland nicht mehr besuchen, seine Werke durften nicht mehr aufgeführt werden.
Um aber diese Oper trotzdem noch zur Aufführung zu bringen, richtete Martinů eine Kurzfassung ein, beschränkt auf drei Schlüsselakte, die er nun mit dem Untertitel “Der Schlüssel zum Traum” versah. Er hoffte, dass diese radiophone Fassung vom französischen Rundfunk produziert würde. Dazu hat er nicht nur den Text ins Französische gesetzt, sondern auch die Rhythmik und Melodik an den eher näselnden Sprachduktus angepasst. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vertrieb den Komponisten aber kurz darauf in die USA, bei der Flucht gingen die Notensätze zu den Fragmenten verloren.
Nach dem Krieg wiederum galt die Oper wegen ihres neo-romantischen Stils allenthalben als unspielbar, den Komponisten dieser Stilrichtung wurde eine geistige Nähe zu den romantischen Phantasmen des Faschismus nachgesagt. Erst kurz vor dem Tod des Komponisten kam 1959 in Wiesbaden ihre zweite Aufführung zustande, ausgerechnet in Deutschland.
Am Anfang leider kein Traum
Die Historie der Oper ist ein wenig auch die Geschichte des Werkes: Sie ist ein Spiel um die Illusion der Realität, in der das Reale Fiktion ist, und ihre Handlung verläuft entlang der dünnen Trennlinie zwischen Einbildung und Erkenntnis. All das ist verpackt in eine Liebesgeschichte, die angesiedelt ist in einem Land, in dem niemand über eigene Erinnerungen verfügt, sich jeder Bewohner aber aus den Angeboten eines offiziellen Traumbüros und der fahrenden Händlern von Erinnerungen seine Identität zusammenstellen lässt. Die Musik entspricht voll und ganz dieser Schwebewelt, bedient sich aus der Romantik ebenso wie aus der mährischen Folklore, die für den Komponisten eine eigene Erinnerung ausdrückt. Die komprimierte Fassung der Fragmente betont diesen Charakter noch, besonders in der eindrücklichen Passage aus dem Zweiten Akt, in dem die Sänger nur von einem zarten Klavierspiel begleitet werden.
Diese “Fragmente” selbst haben eine traumhafte Historie. Es gab etliche Anläufe von Komponisten und Musikern, die verschollenen Notensätze zu rekonstruieren, bis plötzlich 2007 in dem Archiv der Prager Agentur DILIA ein Autograph des Komponisten aufgefunden wurde. Dieser Fund diente schließlich als Vorlage für die am 11. Dezember 2008 im Prager Konzertsaal Rudolfinum im Rahmen der Konzertreihe “Martinů revisited” erfolgte Aufführung, die nun als Uraufführung gilt und auf dieser CD eingespielt ist. Zwei wirkliche Kenner des Werkes von Martinů waren die Protagonisten: Magdalena Kožená, die Rezital erprobte tschechische Sopranistin, und der Klangkörper der Tschechischen Philharmonie unter der Leitung des Martinů-Spezialisten Charles Mackerras, für den diese Oper das schönste Werk von Martinů ist.
Am Ende leider noch Applaus
Und tatsächlich ist die Aufnahme von großer Schönheit und Schlichtheit, und auch die Qualität der Live-Einspielung lässt wenig zu wünschen übrig, was an der guten Akustik des renommierten Konzertsaals liegt. Wäre da am Ende nicht der wegen der erfolgreichen Ausschaltung von störenden Nebengeräusche bloß noch schüttere Applaus zu hören! Aber der Unsitte, das Geklatsche und Getrampel der Konzertbesucher hintenan stehen zu lassen, wird bei Live-Aufnahmen der Plattenfirma Supraphon leider viel zu oft gefrönt. Das ist zwar sicher nett gemeint gegenüber den Künstlern, aber das Gegenteil von gut für den Wohnzimmer-Hörer.
Trotzdem bietet die Einspielung dieser auf Höhepunkte hin geschaffenen Werkfragmente jenen Opernliebhabern, die beim häuslichen Hören nicht von den oftmals langwierigen szenischen Übergangspassagen aus dem Hörfluss geraten wollen, eine geradezu ideale Aufnahme.
Vorangestellt ist den wahren Fragmenten noch einer der früheren Versuche, die Oper zu fragmentieren. 1969 hatte sich der Komponist Zbyněk Vostřák daran versucht und eine knapp viertelstündige Suite daraus gemacht, die aber eher zeigt, wie bruchstückhaft diese Versuche im Vergleich zu der durchkomponierten Fassung doch letztlich gewesen sind. (mm)