Prag - Der legendäre Kinoautomat von Radúz Činčera wird im Prager Kino Světozor wieder in Betrieb genommen, fast genau 40 Jahre nachdem er bei seinem Debüt auf der Weltausstellung EXPO ´67 in Montreal zum Publikummagneten avanciert war.
Činčeras Filmprojekt wird heute als erste interaktive Filmvorstellung in der Geschichte des Kinos weltweit angesehen, bei der die Zuschauer in die Handlung des Films eingreifen und bestimmen konnten, in welcher Richtung die Handlung weitergehen sollte. Im Kino Světozor werden ab dem 29. Mai bis zunächst zum 20. Juni Vorstellungen von „One Man and his Jury“ zu sehen sein („Člověk a jeho dům/One Man and his House“).
Wie die Nachrichtenagentur ČTK (Prag) berichtet, habe dies die Tochter des Regisseurs Alena Činčerová gesagt. Auch eine Verlängerung dieser Staffel oder ihrer englischsprachigen Version sei nicht ausgeschlossen.
Der Saal des Kinos, in dem der Kinoautomat Anfang der 70er Jahre im Repertoire war, wird zu diesem Zweck erneut mit einer Abstimmungsvorrichtung ausgerüstet. Die Vorstellung moderieren abwechselnd auf tschechisch T. Matonoha, E. Hrubeš und J. Polášek.
In Kanada auf der EXPO war es einst Miroslav Horníček gewesen, der in dramatischen Momenten den Film anhielt und die Zuschauer aufforderte, einen der Knöpfe zu drücken, die sich in den Sitzen der Zuschauer befanden. Auf diese Weise konnten die Zuschauer zwischen zwei möglichen Fortstetzungen der Story wählen.
Entwickelt hatte Radúz Činčera diesen Kinoautomaten zusammen mit den Regisseuren Jan Roháč und Vladimír Svitáček, Josef Svoboda als Bühnenbildner sowie Jaroslav Fric und Bohumil Mika.
Der Film „One Man and his Jury“ erzählte eine Geschichte aus einem ganz normalen Haus, wo es sehr turbulente Verwicklungen zwischen den Hausbewohnern gab. In einer der Szenen passierte einer jungen Bewohnerin des Hauses, dass ihre Haustür zuschlägt nach dem sie nachschaut, wer bei ihr geklingelt hat. Da sie gerade aus dem Bad kommt, ist sie nur mit einem Handtuch umhüllt. In ihrer Panik klingelt sie bei dem Nachbarn und bittet um Hilfe. Der hat nun ein Dilemma: Soll er der anmutigen Nachbarin aus ihrer prekären Situation zu helfen, oder nicht, denn er erwartet jeden Moment seine Gattin zurück und die hat auch noch Geburtstag...
Kinoautomat war eine "Satire auf die Demokratie"
Trotz des großen Erfolgs bei der EXPO wurde der Kinoautomat kein Welthit und wurde auch in der Tschechoslowakei bald wieder eingemottet. Denn der damaligen Führung des staatlichen Filmwesens war das ganze scheinbar basisdemokratische Verfahren aus ideologischen Gründen zutiefst suspekt.
Dabei merkt der Medienkünstler Michael Naimark dazu an: „Die Struktur (des Kinoautomaten) war jedoch keine baumartige Verzweigung, die die Wahlmöglichkeit mit jeder Gabelung verdoppelt, im Gegenteil blieb immer nur eine Wahl zwischen zwei Wegen. Sie erreichten das, indem sie die Geschichte so geschickt aufbauten, dass jede Wahl immer zu dem gleichen Ende führte.
Die Wahl wurde so ausgeführt, dass der Vorführer immer die Linse von einem der beiden synchronisierten Projektoren abdeckte. Die Kunst lag somit nicht wirklich in der Interaktion, sondern in der Illusion von Interaction. Radúz Činčera realisierte eine Satire auf die Demokratie, wenn es egal ist, ob man eine Wahl trifft oder nicht.“
Bei dem oben erwähnten Dilemma mit der halbnackten Nachbarin jedenfalls haben die Zuschauer auf der EXPO ´67 fast ausnahmslos in der Mehrheit für ein „Ja“ (Hereinlassen) gestimmt. Nur einmal sollen die Zuschauer mit einem „Nein“ gestimmt haben. Es handelte sich der Überlieferung nach dabei um eine größere Gruppe von Nonnen. (nk)