Wo sind sie denn nun, die Tschechen? Ich befinde mich wohlweißlich seit nahezu zwei Monaten in der Tschechischen Republik, diesem Land der tschechischen Sprache und der tschechischen Krone. Und doch komme ich nicht in Berührung mit den Einwohnern dieses Tschechenlandes. Es ist ein anerkanntes Erasmus-Problem: Die Spanier in Spanien? Die Franzosen in Frankreich? Selbst die Schweden in Schweden scheinen vom Erdboden verschluckt.
„Raus aus dem Erasmus-Rudel“ – so titelte jüngst Spiegel Online. Erasmus-Rudel? Wo sind wir denn hier gelandet? Erasmus-Partys, Erasmus-Wohnheim, Erasmus-Kurse. Es kommt noch schlimmer: Deutsche bleiben oft unter Deutschen. Warum sich gleich zu gleich gesellt und es doch mehr kulturelle Unterschiede gibt als man sich eingestehen möchte…
Spiegel-Autorin Sonja Leister gibt Tipps, „einen echten Aborigine aus Spanien/ Schottland/ Schweden“ zu treffen. Sinnvolle Tipps? Bei den Pragern klappt es nicht ganz so wie am Schnürchen.
Integratives Wohnen: Zusammen mit Einheimischen im Wohnheim? Klingt gut, ist an der Prager Karls-Universität jedoch nicht einfach. Ausländische Studenten werden im vermeintlich „besten Wohnheim der Stadt“ einquartiert, dem Kolej Hostivař. Tschechen habe ich da auf Flurpartys noch nie getroffen. Bleibt also die Wohngemeinschaft. Doch viele Prager Studenten leben außerhalb bei ihren Familien, in günstigeren Gegenden oder anderen Wohnanlagen. Da verspricht auch die dritte Option, den neuen besten Freund im Treppenhaus zu treffen, nur geringe Erfolgsaussichten. In Tschechien spricht man seine Nachbarn nicht einfach so an. Niemals.
Sprachtandem: Wer nach Tschechien kommt, hat mit großer Wahrscheinlichkeit kein Tschechisch gelernt. Wir starten also bei Null. Bei „Wie heißt du?“ und „Was ist das?“: Sprach-Tandem ist möglich, aber schwierig. Und man muss selbst auch eine Sprache vertreten, die der andere beherrscht. Mit Deutsch funktioniert es oft, die Esten haben es da schwieriger.
Ausgehen: Im Ausgehen sind Erasmus-Studenten Meister! Gebt uns einen Raum, etwas zu trinken und Musik. Egal welche. Ich gebe zu, die Qualität der Partys ist fragwürdig und man hängt eben doch unter Ausländern fest. Doch in Prag wird es einem oft so gehen: Man trifft immer Expats, Nicht-Prager, Touristen. „Besonders kontaktförderlich ist es, den Dresscode des Gastlandes einzuhalten.“ Mh, wenn ich ab sofort in weißen Stiefeln, rückenfreiem Top und Mini durch die Gegend hüpfen soll, dann verzichte ich darauf.
Vereine: Wer Unterhaltung sucht, der schließe sich einem Club an! Sei es Sportverein oder Umweltclub, das kann funktionieren. Der offensive „International Club“ bietet vielleicht mit seinen tschechischen Betreuern eine erste Möglichkeit zur Kontaktaufnahme.
Kontaktnetze: Jeder kennt jeden. Nur den Silberfaden heraus aus dem Erasmus-Netz muss ich noch finden… Hilfreich ist das von der Karls-Universität angebotene Buddy-Programm. Nette Tschechinnen und Tschechen werden euch zur Seite gestellt für den ersten Gang zum Fakultätsgebäude oder zur Einwanderungsbehörde.
Unialltag: Lustig, inmitten von Inländern studieren. Wer kein Tschechisch kann, der wird so seine Probleme mit den oft verlangten 30 Credit Points in einheimischer Gesellschaft bekommen. Die bessere Wahl sind auf englisch angebotene Kurse. Und hier finden sich nun 89 % aller ausländischen Studierenden. Das muss man akzeptieren.
Warum kleben sie am Ende zusammen, die Spanier unter Spaniern, Deutsche unter Deutschen? Weil wir alle – als Erasmus-Studenten – Europa super finden. Doch im täglichen Leben, da ist es bequemer in der eigenen Sprache, im eigenen Kulturkreis! Wenn die Portugiesen um 2:30 Uhr erst in Richtung Club aufbrechen, da liegen viele Deutsche schon fast wieder in der Heia. Über WG-Putzpläne lässt sich besser mit dem gleichen Wortschatz streiten und an schlechten Tagen klagt es sich leichter in der eigenen Sprache. Und so enden viele unter Landsleuten. Weil es oft viel einfacher ist.