Prag - Was wären die Feiertage ohne die richtige musikalische Untermalung? Ein klarer Fall für Böhmen, wo doch bekanntlich ein jeder Musikant ist - und in Mähren natürlich auch.
Den nächsten Horizont hatte Vilém Veverka bereits vor zwei Jahren in den Blick genommen. Mit seiner CD "Next Horizon" legte der versierte Solo-Oboeist, der sonst das Feld der ernsten Musik beackert, zusammen mit seiner Ultimate W Band eine swingige Alternative vor. Das war allerdings nur eine kleine Überraschung, denn unter seinen etlichen Alben mit klassischer Musik waren so manche, die nicht unbedingt auf den ausgelatschten Pfaden unterwegs waren, so etwa gemeinsam mit der Harfenistin Kateřina Englichová die schönen Bearbeitungen von Werken Maurice Ravel und Luboš Sluka, der sie extra für dieses Duo komponiert hat.
Dann war es wohl Zeit für etwas ganz anderes. Mit seiner Band und dem Komponisten und Arrangeur Martin Hybler (von M. Polák auf dem Klavier liegend in einem Ölgemälde verewigt) bastelte er zwei Jahre lang an dem Konzept für einen eigenen Sound. Der Studienfreund aus der Prager Musikakademie HAMU sorgte für die Notierung und steuerte ein Stück bei, und so swingte er sich siebzig Minuten von Bach über Piazzolla bis Led Zeppelin dem nächsten Horizont entgegen. Und nun, einmal dort angekommen, erscheint pünktlich zu Weihnachten das neue Album mit einer Zusammenstellung von beschwingt beswingter klassischen Werken.
Am Anfang stand die Frage: Was hört er selbst am liebsten zu Fest? Barocke Musik - und genau die macht auf der neuen CD "Christmas Album" den Anfang: Vivaldis "L'inverno", das darauf zum ersten Mal überhaupt mit einer Oboe eingespielt wurde. Aber der Sound ist ja ohnedies nicht unbedingt jener von Vivaldi, und obwohl der Klang der Band schon ausgetüftelt war, standen die Musiker jetzt vor der Herausforderung, wie man Weihnachtswerke mit ihrer besonderen Stimmung ins Heute überträgt. Es sollte ja weder zu oberflächlich werden, noch wollte man sich dem Hergebrachten unterwerfen. Martin Hybler sorgte mit seinen Arrangements für den Mittelweg zwischen Familienfest und Swingparty. Etliche alte Bekannte sind mit von der Partie, so etwa die Sopranistin Patricia Janečková, und alle gemeinsam bringen neben Bach und Piazzolla das Adagio von Samual Barber oder ein traditionelles ukrainisches Weihnachtslied zum Schwingen. Unterm Weihnachtsbaum darf dann ruhig auch mal mitgeschnippt werden, bis sich am Ende dank des Ave Marias von Antonín Dvořák die festliche Seligkeit wieder einstellt.
Er, der Komponist der "Neuen Welt", war es ja, der gesagt haben soll, dass jeder Böhme ein Musikant sei. Dass das stimmt, belegt schon die große Bandbreite der Volksmusik im Lande, die bis heute vielerorts gepflegt wird, nicht zuletzt zu Weihnachten. Und so findet sich auf einer weiteren CD zum Fest genau diese wunderbar direkte und ungekünstelte Volksmusik, die, weil sie eben wirkliche Volksmusik ist, so gar nicht schnulzig daherkommt, wie sonst so oft der hochgestylte Klangbrei, der uns zur Adventszeit schon aus den Ohren trällert. Unter dem Titel "Cesta světla" hat Jiří Slavík, Jazzer mit unbändigem Drang zur Folklore, gemeinsam mit dem bewährten Orchester und Kinderchor des Ondráš Military Art Ensemble wahre böhmische und mährische Weihnachtslieder eingespielt. Sie sollen uns den Weg zum Licht weisen, hatte sich doch der junge Musiker in den dunklen Stunden des Corona-Lockdowns zur Stimmungsaufhellung der Volksmusik zugewandt. Dank der traditionellen Instrumentierung von Violine bis Zimbal ist daraus echte Hardcore-Folklore geworden - soll heißen: Volksmusik, wie sie dort erklingt, wo sie noch mit der Hand gemacht wird. Dass sie allerdings trotzdem hochprofessionell ist, hört natürlich jeder, der sich daran bereits selbst versucht hat - und wer hat das zumindest zur Weihnachtszeit nicht schon einmal getan?
Klar, Weihnachten geht auch ganz anders, denn pünktlich zum Fest hat ein Altmeister der mährische Musikszene ein neues Album vorgelegt: Vladimír Václavek, der als Gitarrist der legendären Gruppe "Dunaj" quasi ein Urgestein des Brünner Undergrounds ist. In den späten 1980er Jahren legten die Systemverweigerer los und über die ein oder andere - wie man heute wohl sagen würde - Zeitenwende hinweg lebten sie ihren Traum von einer eigenen Welt. Ob es sich heutzutage im nicht mehr ganz so tiefen Untergrund immer noch wie im Traum anfühlt? Oder wenigstens anhört? Vladimír Václavek hatte in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder was Neues ausprobiert und hat nun seine alten Mitstreiter Josef Ostřanský und Pavel Koudelka um sich versammelt, um nach sechsundzwanzig Jahren erstmals wieder eine gemeinsame Platte aufzunehmen. Ihrer Musik sind sie treu geblieben, wenn sie auch ein klitzeklein wenig sanfter erscheint, als jene, die noch aus den Brünner Untiefen schallte. Der Groove des harten und klaren Rhythmus, den kaum einer so exakt mit der Gitarre durchhält wie Václavek, ist aber geblieben, zusammen mit seinem dunklen und raunigen Gesang bringt diese CD die etwas andere Stimmung in die Weihnachtsstube.
Dann doch lieber was Besinnliches, das aber nicht unbedingt ausschließlich weihnachten muss? Da schafft das neue Album "Levitas" des Prager Saxophonisten und Klarinettisten Luboš Soukup und des deutschen Jazzpianisten Christian Pabst Abhilfe. Warme coole Musik, die niemals flach ist und doch nicht abgehoben.
Weihnachten kann also kommen, für jeden gibt es den passenden Soundtrack zur rechten Stimmung unterm Tannenbaum. Gemütlich, um es mit Karl Kraus zu sagen, sind wir dann schon selbst - oder mit der richtigen Musik im Ohr sogar von selbst? (mm)
Angaben zu den vorgestellten CDs (Bildnachweise):
Christmas Album - Vilém Veverka und die Ulimative W Band
Supraphon SU 4316-2
Bildnachweis: Supraphon
Path of Light - Cesta světla - VUS Ondráš und Jiří Slavík
Supraphon SU 4321-2
Bildnachweis: Supraphon
Hörbeispiele zu den beiden CDs unter: www.supraphon.com
Za vodou - Dunaj
Animalmusic ANI 112-2
Bildnachweis: Animalmusic
https://www.youtube.com/watch?time_continue=210&v=jC46BCuRbZc&feature=em...
Levitas - Luboš Soukup und Christian Pabst
Animalmusic ANI 106-2
Bildnachweis: Animalmusic
Hörbeispiele zu diesen CDs unter: www.animalmusic.cz
Infos über den Komponisten und Arranguer Martin Hybler finden sich hier: https://hyblermusic.eu/en/
Bildnachweis: Outsider Bohemian I (M.Hybler), Öl auf Leinwand 165 x 200 cm von M. Polách