Prag - Der massive Polizeieinsatz gegen die Technoparty CzechTek Ende Juli in Westböhmen inspiriert nicht nur die Kreativität von Musikern in Tschechien, die dem Polizeieinsatz bereits einige Protestsongs gewidmet haben.
In den vergangenen Tagen wurden für Demonstrationen als Transparente, als Plakate und Flugblätter oder digital im Internet zahlreiche Persiflagen auf die tschechische Polizei, Innenminister Bublan und Premier Paroubek kreiert.
Von einfachen Fotomontagen über schwarzen Humor bis hin zu richtig böser Satire und knallhartem Agitprop reicht dabei die Spannbreite.
So zeigt das links oben abgebildete Plakat den tschechischen Regierungschef als schwerbewaffneten Polizisten mit dem leicht abgewandelten, von seinem Vorgänger Stanislav Gross geprägten Wahlkampfslogan: "Ich meine es ehrlich." (Myslím to upřímně). Das Wort "ehrlich" (upřímně) ist dabei noch etwas dem Namen des westböhmischen Ortes angepasst, in dessen Nähe die Party CzechTek 2005 und der Polizeieinsatz stattgefunden hatten, nämlich Přimda.
Eine weitere Parodie auf die zurückliegende Wahlkampagne der ČSSD zeigt den bierbäuchigen Paroubek auf einem Plakat, wie er in Pose des Generalissimus Stalin eine Tausendschaft Polizisten ins Feld schickt. "Wahlen 2006. Ich meine es rasant", der Slogan dazu.
Auf einem inzwischen vielerorts in Prag anzutreffenden Sticker, der auch im Internet als Download verbreitet wird, ist der tschechische Regierungschef wiederum in Uncle-Sam-Pose abgebildet.
Statt des legendären "I want You for the U.S. Army" lautet die aggressive Botschaft mit ausgestrecktem Zeigefinger: "Morgen kriegst du eins auf die Fresse".
Nicht viel anders ist die Aussage auf einem weiteren Sticker, der einen schwer bewaffneten Polizisten mit Gasmaske zeigt. Mit gezogener Waffe tritt er auf eine hilflose, am Boden liegende Person ein, die auf den ersten Blick etwas befremdlich anmutet. Der Begleittext verschafft die nötige Klarheit: "Heute die Technoanhänger, morgen die Imker. Für eine sichere tschechische Wiese verprügeln wir auch dich".
Geschichtsvergessenheit oder Geschichtsversessenheit?
Während in Redebeiträgen auf den Protestkundgebungen sowie in Kommentaren und Stellungnahmen in den Medien der Polizeieinsatz bei CzechTek oft mit brutalen Polizeieinsätzen des totalitären kommunistischen Regimes der Tschechoslowakei verglichen wurde (so auch in den eingangs erwähnten Protestsongs), wird dieses Motiv vom klassischen Agitprop praktisch gar nicht aufgegriffen.
Das mag zunächst überraschen. Eine Fotomontage, die Paroubek und Bublan als kommunistische Funktionäre zeigt (rechts), bleibt eine Ausnahme. Sprechblase Paroubek: "Getanzt wird hier schlicht und ergreifend nicht".
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass in den grafischen Werkstätten, denen die Agitprop–Produkte entspringen, offensichtlich die Ästhetik dominiert, die ihre Wurzeln in den antifaschistischen Fotomontagen eines John Heartfield hat und wie sie von der deutschen Antifa und den Globalisierungsgegnern bevorzugt verwendet wird.
Wenig überraschend, dass man sich dann dabei auch aus der Mottenkiste des Agitprop bedient, etwa wenn Paroubek auf einem Plakat als blutbespritzter Schlachter dargestellt wird. Text: "Wir dreschen, schlagen und lassen ausbluten. Ein richtiger tschechischer Schlachter".
Dieses Motiv ist wohl mindestens so alt wie das Genre selbst. Und wie viele Despoten und Politiker wurden oft zu Recht, manchmal zu Unrecht, schon als Schlachter und Schlächter bezeichnet?!
Empfehlenswert ein Rückblick auf die Fotomontage von John Heartfield im Zusammenhang mit dem Prozess um den Reichstagsbrand im Jahr 1933, auf der Hermann Göring als blutrünstiger Henker des Dritten Reiches gut getroffen ist.
Rückgriff auf Nazi-Symbolik
Eine weitere Erklärung für den auffallenden Verzicht auf Bezugnahmen auf das kommunistische Regime ist, dass die gewünschte Botschaft visuell einfacher durch Verwendung von Nazisymbolik transportiert werden kann und man im Bereich des Agitprop ohnehin traditionell visuell gern etwas härter zulangt.
Dazu reicht es schon, das Kürzel der tschechischen sozialdemokratischen Regierungspartei ČSSD mit SS-Runen zu schreiben. Beim Schulterschluss von nazistischer SS und tschechischer Polizei ist das rechte Feindbild zumindest gefunden und auch Generationen übergreifend verbindend.
Mit Volldampf zurück, Rolle rückwärts, Salto mortale. Wenn man dann trotzdem ohne mit der Augenwimper zu zucken im Minenfeld der politischen Satire auf beiden Beinen sicher landet, dann hat das manchmal auch mit einer Portion versöhnlichem Sarkasmus zu tun: So im Falle des Banners (links oben), das kurz nach der gewaltsamen Beendigung von CzechTek auf der Website Dvoikatroika.cz erschien, einem regionalen Kulturinfoserver der Region Ostrava. Motto: "Das Gesetz war auf unserer Seite....".
Dass beim polizeilichen Einsatz von Tränengas auch die Assoziation „Tränengas - Gas – Auschwitz“ kommen kann, die von der Sache her a priori jeder Grundlage entbehrt, belegt eine Montage, die die beiden mutmaßlichen Haupt-Drahtzieher des Polizeieinsatzes in Nazi-Uniformen zeigt.
Nach dem deutschen Satz: "Gut gemacht Herr Bublan.", folgt auf tschechisch: "Und jetzt verwenden wir Gas! Hübsch wie damals in Auschwitz".
Bild- und Textmontagen im Internet
Dabei ist das Spektrum der im Internet kursierenden Bild- und Textmontagen zu CzechTek wesentlich bunter. Gemeinsam ist ihnen, dass es sich größtenteils um elektronische Bildbearbeitungen handelt.
Unterscheiden tun sie sich hinsichtlich ihrer Perspektive, ihres Unterhaltungswertes und der handwerklichen Qualität der Produkte, also vor allem hinsichtlich der Photoshop-Fähigkeiten ihrer Urheber.
Formal bedienen sich die Macher populärer Genres, wie zum Beispiel Comic- und Bildgeschichten oder der Persiflage auf Werbung, ebenso wie der Fotomontage, die als scheinbares "Dokumentarfoto" daherkommt. Im Bild links oben tritt der tschechische Regierungschef höchstpersönlich einem bereits am Bodenliegenden Partyteilnehmer nach.
In einem Fotocomic mit Kampfszenen vom Polizeieinsatz gegen CzechTek wird von beiden Seiten in den Sprechblasen vor allem viel vulgäres Vokabular genutzt.
In einer Persiflage auf Werbung für die tschechische Reality-Show VyVolení (Auserwählt/Rausgewählt), einem Konkurrenzprojekt zu Big Brother, bekommt der Slogan vor dem Hintergrund eines einsamen Flaschenwerfers und der anrückenden Staatsmacht eine neue Bedeutung: "Eine Reality-Show, die keinen Bruder kennt"
In jedem Falle bieten die im Internet kursierenden Artefakte Anschauungsbeispiele volkstümlichen (also unzensierten, individuellen und dezentral unters Volk gebrachten) tschechischen Humors.
Nicht zuletzt sind sie interessant wegen des erstaunlichen Perspektivenwechsels: So sehen wir Premier Paroubek und Innenminister Bublan einerseits als Brutalos und Perversos, fiese Strippenzieher und als Inkarnation des Bösen.
Schon frühzeitig bei einem Staatsbesuch im Land der Mitte haben sie sich inspirieren lassen haben und bei der politischen Führung des einstigen Schurkenstaates Rat hinsichtlich einer „chinesischen Lösung“ zur Herstellung von Ruhe und Ordnung eingeholt.
So ist in einer Fotogeschichte Paroubek bei seinem jüngsten China-Besuch zu sehen(Bild rechts), den er in zeitlich verdächtiger Nähe vor CzechTek absolviert hatte. In einer Sprechblase sagt er sich: "Eine himmlische Ruhe in diesem Land. Ich muss gleich den Generalsekretär fragen, wie sie das hier hinkriegen: Eine Milliarde Menschen und niemand macht Krawall!".
Dass derartige Bösewichter auch nicht davor zurückschrecken, mit Star-Wars-Schurke Darth Vader zusammenzuarbeiten, ohne dessen Zutun das Aussehen der tschechischen Einsatzkräfte auch kaum zu erklären wäre, versteht sich von selbst.
Ein Motiv, das öfter auftaucht und auch auf dem Titelbild von der in Prag erscheinenden Wochenzeitung Respekt aufgegriffen wurde.
Ebenso sehen wir aber die selben Protagonisten auch auf der Seite der von ihnen geschmähten und von der Polizei zusammengeschlagenen Technoanhänger. Auf einer Montage wird Paroubek arg lädiert von seinen eigenen Schlägertrupps abgeführt.
Die Frage, ob es sich bei ihnen um „tanzende Kinder“ oder "gefährliche Gewalttäter mit anarchistischen Neigungen" handelt (Paroubek in einem Artikel für die Tageszeitung Lidové noviny) wird dabei erwartungsgemäß nicht beantwortet.
Immerhin, was einer der reinen Lehre und dem Kollektiv verpflichteten Agitprop-Werkstatt sicher nicht passieren würde: Es gibt viel Raum für wenig hintergründigen Nonsens und Freiheit für viel Unfug einfach aus Freude am Dienst am Humor.
Paroubek und Bublan als DJs, Technotänzer, Superman, Elvis, Kokser, Satan... Der Phantasie scheinen keine Grenzen gesetzt.
Doppelbödigkeit und Mimikry
Einen Spezialfall im Rahmen der geschilderten Reaktionen auf CzechTek bilden einige Beiträge, die nicht so leicht einzuordnen sind. Sie gehören wohl in die Kategorie „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“.
Doch wer würde das nicht, wenn Lego-Baukästen für Polizei-Fahrzeuge und Wasserwerfer zusammen mit den geschilderten Fotomontagen präsentiert werden. Originalbaukästen oder auch böswillig manipulierte Artefakte?
Man fühlt sich doch an ein Werk des polnischen Künstlers Zbigniew Libera erinnert. Dieser hatte in den 90er Jahren einen Baukasten „Lego-Auschwitz“ präsentiert und damit einen internationalen Skandal ausgelöst, in dessen Folge er von der Teilnahme an der Biennale in Venedig ausgeschlossen wurde.
Ebenso gibt es bei einem ein Screenshot von einem Fernsehauftritt von Paroubek und seinem Vorgänger Gross keine endgültige Gewissheit: Wurde an der gestikulierenden Gebärdendolmetscherin manipuliert?
Noch einen Schritt weiter gehen die Macher einer Bierwerbung, die den Spieß einfach umdrehen und ihrerseits die Parodien imitieren. Was im Internet wie eine weitere zartbittere Parodie auf Werbung daherkommt, wie im oben angeführten Falle der Reality-Show VyVolení, entpuppt sich - als großflächiges Plakat geklebt - als Mimikry und echte Bierreklame.
So dürfte es eventuell wenigstens dieser Bierbrauerei gelungen sein, aus dem bewusst nichtkommerziell angelegten Festival CzechTek und der Protestwelle gegen die Polizeigewalt Profit zu schlagen. Motto: „Die Welt ist verrückt geworden. Haltet euch fest...“.
Mehrfachverwertung: eine endlose Geschichte
Interessant ist auch, dass das Internet mittlerweile so etwas wie seine eigenen Klassiker geschaffen hat und wohl weiterhin schafft. Dazu kann man zum Beispiel die seit dem 11. September 2001 weltweit im Internet kursierende Bearbeitung eines Pornobildes zählen. Usama bin Laden ist darauf beim Analverkehr mit US-Präsident George W. Bush zu sehen. Im Zusammenhang mit CzechTek taucht dieses Motiv nun erneut auf.
Die einmontierten Köpfe von bin Laden und Bush wurden dabei eher stümperhaft gegen die Köpfe von Paroubek und Innenminsiter Bublan ausgetauscht. Retusche der Retusche. Es wäre sicherlich ein Leichtes gewesen, ein anderes Original-Pornobild zu finden, auf das die Köpfe von Paroubek und Bublan passender eingefügt hätten werden können. Doch offensichtlich geht es hier den Machern gerade um das Zitat.
Getreu dem Motto "Gutes von Gestern zum Halben Preis" verhält es sich auch mit einer Bildmanipulation, in der Paroubek und tschechische Polizisten in ein kitschiges Nazi-Ölgemälde einmontiert sind, das ursprünglich Hitler als braunen Revolutionsführer zeigt.
Auch dieses Bild hat bereits eine Vorgeschichte im Internet: In das Originalbild wurde einst Microsoft-Chef Bill Gates einmontiert, wobei das Hackenkreuz dem Windows-Emblem weichen musste.
Besonders beliebt als Zutat bei den Bildmanipulatoren in Tschechen ist derzeit ein Bild, auf dem Paroubek fotografiert wurde, wie er eine Rugby-Melone tritt.
Auf zwei unterschiedlichen Versionen tritt er nun nach wehrlosen Technoanhängern, auf zwei weiteren Versionen sieht man ihn dagegen eher wie im Drogenrausch unbeholfen vor einem Soundsystem bei CzechTek tanzen. Auch hier dürfte es wohl heißen: Fortsetzung folgt... (nk)