Eine Reise vom nordwestlichen Rand des Kontinents in dessen Mitte, von der Nordsee zum Binnen-Nabel Europas. Kurz: Bremen – Prag. 14 Tage darf ich hier sein, als Gast des Prager Literaturhauses und des Journalistenverbandes Syndikat. Mein Arbeitsthema: „Arisierung“ - der heutige Umgang mit der damaligen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung. Wobei „damalig“ offenbar nicht „nur“ die Zeit von 1939 bis 1945 betrifft. Was hat es auf sich mit der Aussage, dass jüdische Menschen, so sie überlebt hatten, weitere Male enteignet wurden – aufgrund ihrer Definition als „Deutsche“ oder „Kapitalisten“?
Darüber möchte ich mehr erfahren. Anders ausgedrückt: Gibt es viele Gita Lauschmannovás? Beschreibt Radka Denemarková in ihrem unglaublich intensiven Roman „Ein herrlicher Flecken Erde“ („Peníze od Hitlera“) eher einen Einzelfall – oder ein Phänomen, das man in Deutschland noch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen hat? Nach zahlreichen Mailings mit tschechischen WissenschaftlerInnen und einschlägigen Institutionen habe ich jetzt ein knappes Dutzend Termine – und bin gespannt, wie weit ich komme.
Was ich hier in diesem Blog schreiben will, ist aber kein Tagebuch der Recherchen (deren Ergebnisse kommen später). Es soll eher eine Art Alltags-Blog sein – was einem eben so auffallen kann, wenn man nach gut 20 Jahren zum ersten Mal wieder nach Prag kommt. Die erste Überraschung: Ich darf direkt an der Moldau wohnen. Die Moldau war mein erster Weg nach Prag, in den 80ern, per Paddelboot. Wir stehen vor der Jugendstil-Fassade des Hlalhol-Hauses, František Černý warnt mich: „Sie müssen Ihren Koffer jetzt vier Stockwerke hoch schleppen!” Altbau-Stockwerke, wohlgemerkt. Oben dann dafür: das volle Václav Havel-Panorama, in beide Richtungen. Auf den Hradschin und retour. Denn trotz seiner Präsidentschaft hat Havel doch, ein paar Häuser weiter, auch hier in der Straße gewohnt, oder? Auch im Vierten. Ich bin glücklich über die weite Aussicht aufs andere Ufer. Später am Abend realisiere ich, dass meine Gast-Adresse vor ein paar Jahrzenten noch „Reinhard-Heydrich-Ufer“ gehießen hätte.
Laute Musik aus dem Erdgeschoss holt mich in die Gegenwart zurück. Herr W. feiert im Chorsaal seinen 50. Geburtstag. Ich darf helfen, den Pegel in der riesigen Pflaumenschnapsflasche zu senken, die er schon zum 40. bekommen hatte. Nun, zehn Jahre später, ist sie fällig. Zum 60. des netten Herrn W. werde ich wieder zugegen sein – nehme ich mir vor.
Smetana blinzelt hölzern in den Saal – zu wohnen, wo er gearbeitet hat, ist ein ausgezeichneter Start.