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Der Autor

Patrick Hansen, Jahrgang 1992, studiert derzeit Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Prager Karls-Universität im Rahmen eines Erasmus-Auslandssemesters. Seine Heimatuniversitäten sind die Freiburger Albert-Ludwigs-Universität sowie das Institut d’Etudes Politiques in Aix-en-Provence in Frankreich, wo er im jährlichen Wechsel den binationalen Studiengang "Angewandte Politikwissenschaften" besucht.

Inzwischen im zweiten Mastersemester, interessiert er sich in erster Linie für Prozesse an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft sowie Sprachen, Sport, Kultur, Geschichte und Journalismus.

Für prag aktuell ist er seit März 2016 tätig. Neben Veranstaltungs- und Gastrotipps schreibt er über Erfahrungen und Ereignisse aus seinem Prager Aufenthalt und versucht dadurch Einblicke in den Prager Alltag eines deutschen Erasmus-Studenten zu bieten.

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Mittendrin statt nur dabei - in der Fankurve von Sparta Prag

Zwischen berauschender, ohrenbetäubender Stimmung und rassistischen Sprechchören

Eines vorweg – das Spiel, das ich gestern Abend hautnah miterleben durfte, war aus Sicht der Spartaner historisch. Seit 1983 stand Sparta nicht mehr im Viertelfinale eines europäischen Wettbewerbs. Mit einem Sieg gegen Villareal, das im Hinspiel in Spanien mit 2:1 gewann, hätte Prag ins Halbfinale der Europa-League einziehen können, wo sie zuletzt 1973 standen. Man braucht kein Demograph zu sein, um sich vorstellen zu können, wie klein der Anteil der heutigen Sparta-Fans ist, der diese Spiele im letzten Drittel des letzten Jahrhunderts schon mitverfolgt hat.

Dementsprechend euphorisch war die Stimmung vor dem Spiel und dementsprechend groß der Andrang auf die Eintrittskarten, deren Preis im Vergleich zum tschechischen Ligaalltag verdoppelt wurde. Wahre Liebe jedoch kennt kein Preis. Schon gar nicht, wenn von diesem Spiel womöglich noch jahrelang die Rede sein wird.

So kam es, wie es kommen sollte. Die Straßenbahnen vor dem Spiel waren voll, die Schlangen vor dem Stadion lang, und die Vorfreude und Leidenschaft der Sparta-Fans merklich greifbar. Um die Euphorie nicht in Ekstase umschlagen zu lassen und die Gefühlswallungen der Fans einigermaßen im Zaum zu halten, ergriffen die Organisatoren eine besondere Maßnahme: Nur alkoholfreies Bier im Stadion erwerblich. Die Begründung für diese in Deutschland undenkbare Entscheidung lieferte der Junge am Wurststand, für den ich etwa 20 Minuten anstehen musste und unter anderem die Sparta-Hymne verpasste: „It’s a dangerous game“.

Wozu Prager Hooligans im alkoholisierten Zustand fähig sind, hatten sie jüngst bei der Auswärtsfahrt nach Rom der ganzen Welt schamlos präsentiert, als sie auf einer der bekanntesten römischen Brücken auf eine Bettlerin urinierten. Das Video dieser Untat schlug daraufhin weite Wellen im Netz. Aber nun zurück zum eigentlichen Spiel.

So groß der Optimismus vor dem Spiel war, so schnell stand es im Spiel für Prag 0:1, 0:2, 0:3, 0:4. Spätestens nach dem vierten Gegentreffer zu Beginn der zweiten Halbzeit konnten sich selbst die kühnsten Träumer darauf einigen, dass der Traum vom Halbfinale endgültig geplatzt ist. Sparta hätte zu diesem Zeitpunkt 6 Tore schießen müssen.

Die Stimmung der Fans war von Ernüchterung jedoch mindestens so weit entfernt wie Sparta von Halbfinale. Pausenlos diktierten die Ultras in der Südkurve neue Gesänge und Sprechchöre, die einheitlich übernommen und durch das Stadion gebrüllt wurden. Ein kahlrasierter Tscheche, bei gefühlt eisigen Temperaturen mit kurzer Hose, T-Shirt, Sonnenbrille und Mikrofon ausgestattet, war inmitten der dunkelrot gekleideten Stimmungsmacher der Wortführer. Mit gewaltiger Überzeugung und Inbrunst, die zuweilen an Ekstase grenzte, stimmte dieser neue Gesänge an und hielt so den Lärmpegel auf konstant gehörschädigendem Niveau. Dabei war er während der kompletten 90 Minuten den Zuschauern zugewandt und bekam vom Spiel selbst gar nichts mit. Auf der Kante der oberen Plattform des Stadions stehend befand er sich frenetisch gestikulierend zudem scheinbar durchweg in Lebensgefahr. Weder das eine noch das andere schien ihn auch nur im Geringsten zu stören.

Wenn selbst ein Spiel, das nach so kurzer Zeit schon entschieden ist, so stürmisch und intensiv angefeuert wird, wie sieht es dann bloß aus, wenn noch etwas auf dem Spiel steht? Einen kleinen Geschmack davon bekam ich nach den zwei Anschlusstoren von Sparta zum 2:4, die von den Fans in unbändiger Weise zelebriert wurden. Plötzlich glaubten die Prager wieder an ein Weiterkommen. Die Stimmung war glühend heiß. Selbst neutrale Zuschauer wie ich, die von den tschechischen Gesängen kein Wort verstanden, wurden von der tobenden Masse in der Südkurve mitgerissen.

Als jedoch klar wurde, dass das Spiel keine unerwartete Wendung mehr nehmen würde, kippte die Atmosphäre in eine andere Richtung. Gegnerische Spieler wurde zusehends ausgepfiffen und beleidigt – der geistreiche und vor Kreativität sprühende Gesang gegen Villareals bekannten Stürmer Soldado „Soldado bastardo“ machte im Stadion die Runde. Von den tschechischen Anfeindungen verstand ich leider oder glücklicherweise nichts, der Tenor und das Niveau waren aber wohl dieselben. Auch kleinere Gegenstände wie Feuerzeuge flogen auf das Spielfeld und zielten auf die Gegenspieler ab.

Zu diesem Zeitpunkt des Spiels kam es dann auch zu denjenigen Szenen, von denen die Fußballwelt leider noch allzu häufig Zeuge wird. Dunkelhäutige Gegenspieler von Villareal wurden bei jedem Ballkontakt von den tschechischen Hooligans mit Affengeräuschen begleitet. Dabei handelte es sich nicht nur um eine kleine Gruppe kahlrasierter, fanatischer Ultras, sondern auch normal erscheinende tschechische Fans stimmten in den rassistischen Kanon ein.

Bei aller Euphorie und Emotionalität wurde mir plötzlich bewusst, warum alkoholfreies Bier im Sparta-Prag Stadion wohl doch eine gute Idee war. Wozu sind diese sogenannten Fans wohl fähig, wenn ihnen, erregt von der aufbrausenden und heißblütigen Massendynamik in den Rängen, auch noch ein paar Promille durch die Adern fließen? Bis wohin würden sie dem Hooligan-Anführer mit dem Mikro folgen?

Die UEFA-Kampagne „no to racism“, die vor und während des Spiels auf den Leinwänden ausgestrahlt wird, scheint noch meilenweit davon entfernt, das Problem in den Griff zu bekommen. Rassistische Anfeindungen sind im europäischen Fußball allgemein und in der Hooligan-Szene im Besonderen beileibe keine Seltenheit. Auch Spartas zwei dunkelhäutige Spieler mussten beim Auswärtspiel gegen Lazio Rom diese traurige Erfahrung machen.

Insgesamt werfen diese Aktionen einen dunklen Schatten auf die berauschende, stimmungsgewaltige und einzigartige Erfahrung in der Fankurve von Sparta Prag. Jedem Fußballfan und Stadionliebhaber würde ich einen Besuch dieser wärmstens ans Herz legen. Dabei sollte man sich aber bestens darüber im Klaren sein, inwieweit man Fangesänge und dahinter liegende Meinungsbilder in der Masse mitgeht und inwieweit man sich mit Sprechchören identifizieren kann oder davon distanzieren sollte.

Bildnachweis:
Patrick Hansen

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