René Pollesch ist eine Marke. Als Regisseur und Autor in Personalunion hat er einen Stil entwickelt, den man sofort erkennt. Ein heiterer, rasanter Fluss an Wörtern, voll der Anspielungen, der Zitate und des überbordenden absurden Humors. Ein Reichtum an Themen, der in Wiederholungen und Variationen ständig neu kombiniert wird und eher durch die Darsteller hindurch fegt, als von ihnen auszugehen.
Auch in "Gasoline Bill", im diesjährigen Abschlussstück des Prager Theaterfestivals deutscher Sprache, erlebt der Zuschauer am 1. Dezember 2014 im Divadlo na Vinohradech mit den Münchner Kammerspielen ein Pollesch-Stück par excellence. Vier identitätslose Gestalten, willkürlich verpackt in Cowboykostüme, lümmeln auf der Bühne herum, adressieren sich mit immer neuen Namen, konfrontieren sich mit Vorwürfen, Fragen und Erläuterungen ohne je aufeinander einzugehen. Sie zitieren Weber und Freud, sie fragen nach der Liebe und tanzen zu den Beastie Boys. Gelegentlich wird eine einzelne Doppelhaushälfte mit fehlender Wand und ohne Dach umhergeschoben und als Gebetsmühle im Kreis gedreht.
Wie viele andere Theatermacher der Gegenwart interessiert sich Pollesch nicht für die Höhen und Tiefen einer klassischen dramatischen Erzählung. Er ist kein Liebhaber der festgeschriebenen Rollen, der wendungsreichen Handlungsverläufe und des wonnevollen, kathartischen Schauers.
Und trotzdem, es ist kein postmodernes Theater der Sinnlosigkeiten, kein willkürlicher Klamauk, den Pollesch seinen Zuschauern vorsetzt. Es geht ihm nicht darum, der Bühne und der damit stellvertretenen Welt den letzten Sinn auszutreiben. Er sucht einen neuen Sinn im Jenseits der Individuen, im Jenseits der Ich-Identitäten, die das bürgerliche Theater bevölkern.
Kein anderer porträtiert die Widersprüche und Irrtümer unserer Selbstbezogenheit so wie René Pollesch. Wieso sollte man sich selbst auf den Grund gehen, wenn man sich nur in Beziehung zu anderen bestimmen kann? Wie sollte man über sich selbst sprechen können, wenn man sich immer nur in der Sprache aller bewegt? Die paradoxe Sinnsuche in sich selbst, der Mythos der Selbstverwirklichung und die Unmöglichkeit, sich selbstlos auf andere zu beziehen – das sind die Themen, mit denen uns Pollesch konfrontiert.
Die ramponierte Doppelhaushälfte, leer, an mehreren Stellen offen und wie am Ende des Stücks durchflogen von Textseiten, also von Sprache – das sind wir.